Fühlen, was ich wirklich brauche…
Achtsamkeitsübungen sind und waren für mich insbesondere dann, wenn es um die Körperwahrnehmung geht, immer wieder eine besondere Herausforderung. Ich habe ja auch schon einige Male darüber berichtet (siehe unten angefügte Links). Denn erst durch die regelmäßige Achtsamkeitspraxis ist mir überhaupt bewusst geworden, dass ich mich mit einer Körperbehinderung durchs Leben bewege. Allerdings mit einer Behinderung, die erstmal gar nicht so auffällt. Wie oft habe ich früher Physiotherapie gemacht, wie oft Orthopäden aufgesucht, wie oft mir im Sportunterricht angehört, mir fehle es halt nur an Engagement und ich solle mich nicht so anstellen. Niemand sagte mir, was wirklich mein Problem ist – niemand schaute wirklich genau hin.
Bewusstwerden der wirklichen Einschränkungen
Erst durch Achtsamkeit ist mir vieles bewusst geworden und daher jetzt auch anders damit umgehen und letztlich auch gezielter auf Suche nach Klarheit durch medizinische Diagnostik gehen. So fiel mit in der Gehmeditation überhaupt erst auf, dass ich kaum sicheren Halt mit den Füßen finde. Das Yoga im Stehen war ebenfalls immer ein Drama. Egal, was und wieviel ich übte, es ging nicht. Inzwischen weiß ich: Leichte Sichelfüße, die dann noch sehr schmal sind, Senk- und Spreizfuß kommen noch ergänzend dazu. Dann ohnehin leicht schiefe Beine, ein gebrochener Lendenwirbel mit dem ich vermutlich schon mein ganzes Leben herum laufe. Hinzu kommen überdehnbare Gelenke, die z.B. einen Vierfüßerstand schon mal zum Desaster werden lassen. Dann bin ich ja auch noch schwerhörig, was das Üben in einer Gruppe nochmal schwieriger macht. Was mache ich nun mit diesen ganzen Einschränkungen? Es einfach sein lassen? Fast war ich dazu geneigt.
Lösungen – Erleben, was ich wirklich kann!
Die Lösung, hatte Sabine, Leiterin der MBSR-Gruppe für Übende mit Vorerfahrung, an der ich immer wieder teilnehme: Sie schlug vor, sich manche Übungen nur gedanklich vorstellen, Varianten zu suchen, auch beim Yoga wirklich mitfühlend mit sich selbst zu sein und nur so viel und so weit zu gehen, wie es gut tut. Kurzum: Im Bedarfsfall anders üben und immer wieder hinzufühlen, ob diese oder jene Übung so wirklich gut oder anders vielleicht besser ist.
Letzten Donnerstag entdeckte ich dann eine interessante Variante für mich: Die Yoga-Übungen im Stehen führte ich überwiegend im Sitzen durch und entdeckte dabei die Stabilität der Sitzbeinhöcker. Und so ging es mir durch den Sinn: SitzBEINhöcker, sind doch auch irgendwie Beine – zumindestens für mich. Sitzen ist für mich auch Stehen. Für mich eine unglaubliche Befreiung: Endlich Stabilität!
Varianten, Individualität, Kreativität, Lebensfreude
Ein interessanter Nebenbei-Effekt ergab sich für mich: Jenseits von „08/15“, „Schema F“ und „alle üben gleich“ etwas anders machen können, sich dieses Anders-Tun zugestehen, setzte bei mir auch innerlich etwas frei: Viele neue Ideen und Gedanken gingen mir plötzlich durch den Kopf. Statt des üblichen Stresses durch solche Übungen, spürte ich nun Freiheit, kreative Inspiration und einfach Lebensfreude in mir. Keine Sport- oder Gymnastiklehrer, kein Krankengymnast hat ein solch wunderbares Erlebnis durch Körperbewegung und Körperwahrnehmung je bei mir erreichen können, wie es nun durch wirklich achtsames Yoga und dem nötigen Selbstmitgefühl möglich geworden ist.
Ganz toller Blogpost! Weder mache ich Yoga, noch habe ich ein Stabilitätsproblem….aber ich kenne das Gefühl, mich am Unmöglichen abrackern zu müssen und auch die Freiheit, die entsteht, wenn ich es nicht mehr tun muss. Aber so elegant hätte ich es nicht beschreiben können 🙂
Oh, die Beschreibung „am Unmöglichen abrackern“ ist dann wirklich auch sehr treffend. Darauf wäre ich nicht gekommen 😉