Sich einfach mal Zeit lassen

Nun sind schon 4 Monate nach meinem beruflichen Ausstieg vergangen. Was passiert ist: Eine Menge und gar nichts. Ich hatte mir für diese Zeit nichts besonderes vorgenommen, außer mich einfach zu erholen. Erholung gelingt mir am besten, indem ich mir bei allem endlich einfach mal Zeit lasse.

Weiter raus aus Longcovid

Endgültig raus bin ich nicht aus Longcovid. Einen weiteren Schub an Verbesserungen hatte ich Anfang September und nun auch nochmal Anfang November. In dem Maß, wie es meiner Lunge schrittweise besser geht, bessert sich auch meine allgemeine Verfassung. Normal belastbar wie vorher bin ich noch nicht, aber bereits deutlich besser, als noch im Sommer. Da, wo viele Menschen aufeinander treffen, trage ich immer noch Maske. Nochmal brauche ich so ein Desaster nicht.

Wenn ein Mensch viel zu früh stirbt

Im November starb überraschend meine langjährige Freundin Vera Dohmann. Sie war Fotografenmeistern, von ihr stammt mein Portrait (hier) und einige andere Fotos hier auf der Webseite. Sie ist auch kurz in der TV-Roomtour von 2022 zu sehen. Sie hatte längst selbst angefangen, Dinge zu reduzieren, dieser Teil des Interviews wurde aber nicht ausgestrahlt. Vera wäre am 1. Dezember in reguläre (nicht vorgezogene) Rente gegangen, Mitte Dezember 66 Jahre geworden. Sie wohnte 5 Minuten Fußweg von mir entfernt. Ich erinnere mich an unsere vielen schönen Kaffeestunden auf dem Balkon. Als Fotografin war sie eine wirkliche Meisterin ihres Faches, weit überdurchschnittlich kreativ und immer mehr an den Menschen als am persönlichen Profit orientiert. Sie war oft wie ein bunter Vogel mitten im grauen Alltagseinerlei. Bei ihr gab kein schnelles getaktetes, wirtschaftlich optimiertes ritsch-ratsch-klick. Sie nahm sich Zeit. Manche Menschen verstanden das nicht. Ich fand das aber immer sehr angenehm, auch ihre KundInnen wussten das zu schätzen. Als Rentnerin wollte sie ihre Hobbys Musik und Malen wieder stärker reaktiveren. Schade, dass es nicht dazu gekommen ist.

Dinge sollten uns dienen, nicht umgekehrt

Wie heißt es so schön im Volksmund: „Wir kommen mit nichts und gehen mit nichts und die Zeit dazwischen nennen wir Leben.“
Ja, so ist es wirklich. Gerade im Zusammenhang mit Tod und Trauer fällt mir natürlich besonders auf, wie unwichtig es ist, ob man nun ein paar Teile mehr oder weniger in der Wohnung hat. Wie schwer es aber auch ist, eigentlich unnötige Dinge loszulassen, wenn man bestimmte Dinge mit einem bestimmten Menschen verbindet und dieser Mensch plötzlich nicht mehr da ist. Sich über lange Zeit mit Minimalismus auseinander zu setzen, ist auch in diesem Bereich sehr hilfreich. Es gelingt so viel besser den richtigen Blick dafür zu bekommen, damit die Dinge uns dienen – nicht umgekehrt.

Dinge sind nützlich,
sie dürfen auch schön sein,
aber was wirklich wertvoll ist,
ist die Zeit.

Am Horizont erkennbar: die eigene Rentenzeit

Inzwischen ist mein Rentenbescheid da, ab 1. März nächsten Jahres bin ich dann offiziell Rentnerin. Ob ich dann noch etwas nebenbei arbeite, sei es als Angestellte, Minijobberin oder ehrenamtlich weiß ich noch nicht. Momentan bin ich froh, dass ich mich erstmal erhole. Nach dem hohen Stresspegel, den ich über Jahrzehnte hatte, will ich nicht auf diesem Niveau weiter machen. Daher werde ich mich hüten, vorzeitig irgendwelche schnellen Pläne zu schmieden. Auch in dem Bereich werde ich mir Zeit lassen. Ich werde noch mal davon berichten, ob und wie ich von der Rente lebe und wie es so ist, wenn eine Minimalistin in Rente geht.

 

18 thoughts on “Sich einfach mal Zeit lassen

  1. Guten Abend,

    lange hab ich überlegt, was ich zum Thema schreiben kann. Zum einen ist das meiste schon gesagt. Zum anderen macht es mich immer wieder traurig, von solchen Dingen wie dem Tod kurz vor der Rente zu hören.

    @ Tom: das Thema Zeit ist auch meins. Habe dienstags immer frei. Manchmal mache ich nur in Ruhe meinen Haushalt, nix Besonderes also. Und freue mich, wie gut sich das anfühlt, einfach mal banale Dinge erledigen zu können, ohne Eile. Wenn ich dann mittwochs wieder arbeite, ist daheim so weit alles okay.

    @ Thorsten: im Internet gibt es einen Vortrag von Niko Paech. („Blick in ein entrümpeltes Leben“) Text darunter: „Die Freiheit zum kollektiven Selbstmord wird wie eine Errungenschaft zelebriert“. Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen

    Euch allen einen gesegneten II. Advent und Dir, Gabi, das was Du brauchst um über den Verlust hinweg zu kommen. Man wird wieder lachen, fröhlich sein – nur eben ein ganz klein wenig leiser.

    1. Hallo Andrea, danke dir und allen anderen!
      Für einen Socialmedia-Beitrag kann man die schwierigen Themen rausschneiden oder einfach weglassen. Im realen Leben funktioniert das nicht. Ich entdecke gerade vieles, was mir gerade hilft, auch in Bezug auf Achtsamkeit und Minimalismus. Doch dazu vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt nochmal etwas mehr.

      Das erwähnte Youtubevideo mit Niko Peach ist hier zu finden: https://www.youtube.com/watch?v=XN78GM-K0y8

  2. Für die Athener des antiken Griechenlands war Muße das Privileg des freien Mannes. Nur Sklaven mussten immer arbeiten. Außerdem wurde Muße als Voraussetzung für Kreativität und geistige Entwicklung angesehen.
    Das Muße die Voraussetzung für Kreativität ist, habe ich gerade selber gemerkt. Zunächst etwas unfreiwillig hatte ich einen längeren freien Zeitraum, den ich dann genutzt habe, um die Gedanken frei schweifen zu lassen. In dieser Zeit entstand ein kleines Gedicht. Ohne Muße hätte ich nie die Erfahrung gemacht, dass ich so etwas überhaupt kann.

  3. Liebe Gabi, ich wünsche Dir Raum und Ruhe zum Trauern und Erinnern und Raum für das Hinschauen und Hinspüren, was du für Deine Zukunft möchtest.
    Mich macht das sehr nachdenklich. Ich bin fast 45 und hab die meiste Zeit für Andere gelebt. Dabei hab ich nicht mal Kinder. Mit Entwicklungstrauma lebt es sich oft sehr schwer und trotzdem nehme ich das als Impuls selbst immer wieder hinzuschauen, was mir in diesem meinem einen Leben wirklich wichtig ist.

    1. Übergänge und Veränderungen bewusst gestalten und sich dafür einfach mal die nötige Zeit nehmen – das ist etwas, was mir zunehmend wichtiger wird. Schnelle Pläne, smarte Ziele sind ja ganz nett, aber können auch schnell am eigenen Bedarf vorbei rauschen. Das sind oft Kopfgeburten, der Mensch besteht aber nicht nur aus einem Kopf.

  4. Liebe Gabi, ich möchte dir gerne meine Anteilnahme an deinem Verlust aussprechen.
    Ich wünsche dir, dass du viele starke Menschen um dich hast, die dich begleiten und du genügend Ruhe findest für all deine Gedanken und Erinnerungen an einen lieben Menschen.
    Man nimmt sich immer so viel vor für die Zeit in der Rente. Aber eine Garantie, dass wir diese erleben dürfen, gibt es nicht. Gesundheit und liebe Menschen um einen herum sind doch da viel wichtiger als irgendwelche Statussymbole oder irgendein Krempel für den man seine Zeit opfert.
    LG
    Vanessa

    1. Ja, es ist schon gut, nicht alles auf später zu verschieben. Nicht einmal die sog. Rente mit 40 Jahren bringt es, wenn jemand mit 39 Jahren stirbt. Klingt schräg, ist aber so.

  5. Hallo Gabi, auch von mir ein herzliches Beileid!
    „Die Einschläge kommen näher“, heißt es bei uns in so einem Fall. Will heißen, Menschen in annähernd unserem Alter versterben plötzlich und unerwartet und oft viel eher, als man es erwartet hätte. Tragisch, wenn sie nicht einmal das Rentenalter erreicht haben.
    Bei uns wird es ab Januar auch ruhiger. Mein Mann tritt nach über 30 Jahren Außendienst mit ~50.000 Autokilometern pro Jahr kürzer. Er hat aus mehreren Schicksalsschlägen gelernt. Lieber weniger Einkommen, als weniger Leben. Ich bin stolz auf ihn, (nicht nur) weil er diesen Schritt in die Wege geleitet hat.
    Wie das dann wohl sein wird, wenn er öfter da ist? 🤔 Wir freuen uns auf das LEBEN.
    Liebe Grüße, Sibylle

    1. Danke. Dein Mann hat eine gute Entscheidung getroffen. Zu meinem Job gehörte auch viel Fahrtätigkeit. Das ist auf Dauer sehr anstrengend. Auch das schönste Einkommen ersetzt nicht wertvolle Lebenszeit. Genießt das Leben!

  6. Liebe Gabi, der Tod deiner Freundin tut mir sehr leid. Da braucht es erstmal Zeit sich damit abzufinden, ich kenne das sehr gut aus eigenem Erleben ( meine Schwägerin starb sehr jung).
    Zeit lassen für alles (auch Trauer) ist eine gute Devise. Gut das du nochmal Verbesserungen merkst in deiner Gesundheit, das ist ja auch wichtig für die Psyche. Ich meditiere wieder mehr die letzte Zeit, das hilft dann meiner Psyche ganz gut und hält mich aufrecht wenn die Dinge mal schwierig sind. Einen schönen, gemütlichen ersten Advent wünsche ich dir.

    1. Danke. Irgendjemand meinte mal so passend: „Es ist wichtig, seine Gefühle wahrzunehmen. Das heißt aber noch lange nicht, dass man alles tun muss, was einem die Gefühle sagen.“ Meditation ist genau dabei für mich sehr hilfreich. Der Blick wird klarer und der Fokus aufs Wesentliche wieder besser.

  7. Oh je, kurz vor der Rente sterben. Das ist wirklich jammerschade. Ich habe noch etliche Jahre Arbeit vor mir, aber ich denke, ich werde mal mein Pensum ein wenig runter schrauben. Ohne Gesundheit ist alles nichts. Am Ende des Lebens kann man seinen Krempel und Erfolgspokale ja eh nicht mitnehmen.

  8. Hallo Gabi, der Name Vera Dohmann fällt mir im Zusammenhang mit Dir sofort ein. Mein herzliches Beileid, gute Freunde zu verlieren ist nicht schön.
    Das Thema Zeit beschäftigt mich zur Zeit sehr, ich lese gerade das dritte Buch zum Thema, sich Zeit nehmen, Muße sind unglaublich wichtig und werden in der heutigen Beschleunigungsgesellschaft leider von den wenigsten beachtet. Zeit ist nicht Geld, Zeit ist Leben!
    Liebe Grüße Tom

    1. Danke. Beschleunigungsgesellschaft ist ein passendes Wort. Wir rennen und rennen, optimieren und optimieren – aber für wen und was?

      1. Wir rennen alle gegen die Wand, die einen schneller, die anderen langsamer. Mit Tüten voller Konsumps, Schulden und Müll – wenn wir nicht aufpassen. Um sich abzustützen benötigt man freie Hände. Nur wer loslassen kann, kann fliegen.

        1. Oh ja, das Thema finde ich auch super wichtig. Wie oft habe ich es in den letzten Jahren schon gesehen, dass der überwiegende Teil der Dinge am Ende des Lebens im Container landet. Man kann es kaum verhindern. Wenn jemand zur Miete gewohnt hat, kann man z.B. nicht monatelang die Wohnung weiter laufem lassen, nur um noch ein paar Teile verkaufen oder verschenken zu können. Dazu ist es meistens viel zu viel Zeug.

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