Achtsamkeit, Minimalismus und schlechte Laune…

Wenn alles quer zu laufen scheint…

Dauerregen am Morgen. Eigentlich wollte ich längst unterwegs sein, da ich noch ein paar Lebensmittel besorgen muss. Die zurück liegende Arbeitswoche war anstrengend und teilweise sehr unbefriedigend. Es gab Komplikationen, die völlig unnötig waren. Sowas mag ich gar nicht. Dann meinten einige Mitmenschen heute Nacht gegen 3.30 Uhr, irgendwo in der Nähe – und für mich nicht sichtbar – lautstark Gespräche führen zu müssen. Mein Ruf nach Ruhe verhallte im Nichts. Als wäre das nicht genug, bemerkte ich dann auch noch, dass sich irgendeine allergische Reaktion auf irgendwas in mir austobte. Und so lag ich da, spürte, wie bleiern müde ich war, aber Anspannung und Ärger in mir hoch kochten und mich wach hielten.

Es gibt sie, solche Stunden, Tage, Situationen, in denen irgendwie alles quer zu laufen scheint. Irgendwas passt nicht, irgendwas stört, Planungen sind über den Haufen geworfen. Unzufriedenheit scheint sich ihren Weg durch jede einzelne Nervenzelle zu bahnen.

Ich shoppe mir die Welt schön

Was mache ich mit dieser Unzufriedenheit? Außer, dass ich immer unzufriedener werde? Blicke ich zurück, war es meine frühere Strategie, mir irgendwas Kaufbares zu gönnen. Gerne habe ich in solchen Situationen plötzlich tausend Ideen gehabt, was ich unbedingt mal einkaufen könnte – und sei es nur irgendein Computerkabel. Die Welt ist gerade blöd, also shoppe ich sie mir mal schön. Heute könnte ich sogar nachts aufstehen, den Computer anstellen und mich durch die Online-Shops wühlen – ich könnte dies sogar im Bett liegend mit dem Smartphone erledigen. Und in den Internetshops würde ich dann neben dem Computerkabel noch tausend andere schöne ablenkende Dinge entdecken. Praktischerweise und ratzfatz schießt dann kurzfristig das Glückshormon Dopamin in die Höhe und ich kann mir einbilden, die Welt ist wieder schön – zumindestens kurzfristig.

Shopping ist keine Lösung – schon gar nicht für Minimalisten

Der Haken an Shopping-Problemlöse-Strategien: Sie kosten Geld und – noch schlimmer – man hat das Zeugs hinterher in der Wohnung herum liegen. Das passt vielleicht noch, wenn Minimalismus vorrangig so etwas wie Modeerscheinung oder Trend ist und der Aspekt der Nachhaltigkeit keine so große Rolle spielt. Irgendwas kaufen, was anderes fliegt raus, fertig. Ginge ja auch. Aber wenn Minimalismus ein wirkliches tiefergehendes Bedürfnis ist, passt auch das nicht und ruft Unbehagen hervor. Es gibt tausend viele schöne Sachen, aber wenn ich mir bildlich vorstelle, dieses Zeugs befindet sich nach dem Kauf dann ganz konkret und dauerhaft in meinen eigenen vier Wänden? Um Himmels Willen – bloß nicht. Schon gar nicht diese elendigen Kabel. Da stehen mir alle Haare zu Berge. Früher oder später würde ich das meiste Zeugs sowieso wieder entsorgen. Aber was statt dessen tun?

Loslassen

Es erfordert ein wenig Übung, gelingt nicht immer sofort, aber es ist ein Weg – nicht nur für Minimalisten: Loslassen – nicht nur die falschen Kaufwünsche, sondern auch Ärger, Unbehagen, die innere Anspannung. Dazu muss ich erstmal registrieren, wie es mir geht und dass ich eben gerade auch ärgerlich bin. Das funktioniert nicht mit Verdrängungskünsten. Ich helfe mir dann oft mit dem MBSR-Bodyscan. Immer wieder geübt, hilft er mir in solchen angespannten Situationen, mich erstmal wieder auf die ganz gewöhnliche körperliche Verfassung zu konzentrieren. Den schnellen Atem ruhiger werden lassen, einatmen, ausatmen, runter kommen. Und inzwischen gelingt es mir zunehmend besser, dann auch den eigenen Ärger bewusst loszulassen. Mich und meinen Ärger mal nicht so wichtig nehmen. Weder bin ich, noch ist der Ärger der Nabel der Welt – zum Glück. Das fühlt sich so gut an! Irgendwann wird dann auch der Weg für wirkliche Lösungen frei. Ich kann mich beispielsweise fragen, was mir hier und jetzt wirklich gut tut. Beispielsweise einfach das Fenster schließen, ein wenig Antiallergie-Salbe auf die juckende Hautstelle. Und dann fällt mir plötzlich auch wieder ein, dass ich am nächsten Morgen frei habe und ausschlafen kann. Es ist also alles nicht so tragisch.

Achtsamkeit ist keine Schmerztablette

Tatsächlich ist ein Aspekt für unser westliches Verständnis mitunter schwierig: Achtsamkeit funktioniert nicht wie eine Schmerztablette oder eine juckreizstillende Salbe. Achtsamkeit braucht Zeit. Achtsamkeit braucht Übung. Achtsamkeit braucht Beständigkeit. Perfektionismus braucht Achtsamkeit zum Glück nicht. Manchmal ist es schon ein Erfolg, überhaupt mal ein paar wenige Sekunden aus dem eigenen Ärgerstrudel heraus zu kommen. Ich brauche für Achtsamkeit nicht einmal besondere Rituale. Ich weiß, vielen Menschen ist dies wichtig, mir nicht. Ich habe keine besondere Meditationsecke in der Wohnung. Mal sitze ich auf einem Meditationskissen, mal auf dem Stuhl, mal auf dem Sessel oder ich liege – wie letzte Nacht – einfach in meinem Bett. Das Einzige, was ich brauche, ist die Entscheidung zum Tun – und seien es nur einige wenige, einzelne Atemzüge lang.

Ich bin übrigens dann gut wieder eingeschlafen, der Dauerregen ist mir gerade völlig egal. Der Einkauf ist verschoben, irgendwas ist gleich schon noch da. Ich werde am Wochenende definitiv nicht verhungern, improvisieren kann ich im Bedarfsfall auch gut. Statt dessen habe ich vorhin meinen morgendlichen Kaffee sehr genossen und diesen Text geschrieben.  Ich genieße es, dass sich meine Anspannung und mein Ärger verflüchtigt hat. Ich spüre noch die Müdigkeit der letzten Woche in den Knochen – aber die darf dann einfach auch mal da sein. Sie bleibt ja kein Dauergast und verschwindet auch wieder.

 

 

 

8 thoughts on “Achtsamkeit, Minimalismus und schlechte Laune…

  1. ich kann das sehr gut nachempfinden und erlebe das sehr oft, besonders was du über die Situation nachts geschrieben hast-aber auch das mit dem Shoppen.
    Im Sommer ist es leider keine Option bei der Hitze die Fenster zu schließen und meine Schlaf- und Wohnzimmerfenster ist auf die Straße hinaus.
    Manchmal liege ich wütend in meinem Bett und komme nicht zur Ruhe. MBSR hat mir dabei bisher nicht geholfen….

    1. Hallo Rita, oh dass ist ja wirklich eine nervtötende Situation für dich. Da ich eine Dachwohnung habe, muss ich im Hochsommer aber auch manchmal die Fenster offen lassen. Wenn es mir draußen zu laut ist, benutze ich dann einfach Ohrenstöpsel. Ich habe einen Wecker mit Vibrations- und Lichtalarm. Da werde ich dann morgens trotzdem wach.

  2. Ja, es ist in der Tat Übung und etwas Disziplin… ich merke das auch immer wieder, dass ich aus dem Achtsamkeits-Sein herausschleudere und dann ist es mühsam, wieder zu üben… … Ich habe mal gelesen, Achtsamkeitstraining ist kein Medikament – so wie du ja auch schreibst – , das man dann in der Not nimmt, sondern es ist ein Schiff, das man ständig instand halten muss, damit man die Segel setzen kann, wenn man sie braucht… … ich vergesse auch gerne, Achtsamkeit zu üben, wenn alles rund läuft… und dann irgendwann nimmt das Leben wieder „Fahrt“ auf und ich sehne mich nach Achtsamkeitsmomenten… .. .aber das zu merken, ist ja schon achtsam… und dann: üben, üben, üben… … Danke, dass du mich hier auch noch mal so deutlich erinnert hast und formulierst, was mir in den letzten Wochen selbst schon so langsam auffiel… ;-)!

  3. Ich kenne das total was du beschreibst! Im Leben läuft nicht alles nach Plan und so einfach wie erhofft! Auch wenn manch einer einem das vorspielen möchte, vielleicht ist es bei dem einen oder anderen Tag ein Tag aus ein glückliches entspanntes und erfülltes Leben… Glückwunsch! Meine Realität sieht leider oftmals anders aus! Entspannung fällt mir dann einfach schwer, da bei uns gerade auch Umzugsplanungen anstehen und obwohl Minimalistin meiner Meinung nach total ätzend und anstrengend und dann bin ich eben Mal ganz und gar nicht tiefen entspannt… ist eben so.

    1. Und manchmal ist es ja auch die Kunst, wirklich nur ein einzelner Atemzug lang, mal raus zu kommen aus diesem Strudel. Das mag wenig erscheinen. Ich finde, es ist viel, denn es ist der Beginn einer ersten kleinen Veränderung.

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