Mehr Lebensqualität durch Minimalismus – 5 Anregungen

Die Situation heute

Noch immer wird bei uns Motto hoch gehalten: „Mehr ist besser. Mehr kaufen, mehr genießen, mehr haben.“ Und stets wird uns eingeredet, dass dann auch nochmal irgendwas besser wird. Tatsächlich ist dies aber letztlich nur dann der Fall, wenn wirklich Mangel an den grundlegenden Dingen herrscht. Es gibt einfach materielle Bedürfnisse, die sind da – jede/r hat sie, denn jede/r benötigt z.B. Essen, Trinken, Wohnen, Kleidung. Fehlt es daran, ist es klar, dass dann mit der Verbesserung dieser materiellen Bedürfnisse auch eine Verbesserung der Lebensqualität verbunden ist. Was wir aber oft vorfinden ist ein Zuviel: zuviel Dinge, meterlange Regale mit Kosmetikartikeln, überfüllte Kleiderschränke, ständig immer noch größere TV-Bildschirme, Zeug wohin man sieht. Was ist daran noch Lebensqualität? Es ist ein vollgestopftes Leben, ein ständiges Suchen, Aufräumen, Säubern, ein- und ausräumen. Es ist wie beim Essen: Es kann noch so lecker sein, irgendwann ist man einfach satt, übersättigt.

Aktuelle Phantasielosigkeit in Unternehmen

Was wir aber in unserem gesellschaftlichen Umfeld erleben ist, dass diejenigen, deren materiellen Grundbedürfnisse längst gesättigt sind, immer noch umworben werden, noch mehr zu kaufen und zu konsumieren. Und die, die ohnehin viel haben, wollen oftmals noch mehr. Warum und wozu eigentlich? Ist das nicht sehr phantasielos? Unternehmen könnten sich ja ebenso auch auf diejenigen Menschen konzentrieren, denen materiellen Bedürfnisse noch lange nicht gedeckt sind, indem sie z.B. Menschen in sog. 3.Welt-Ländern mal endlich bessere Löhne zahlen. Oder wirkliche sinnvolle Alternativen für uns hier finden, z.B. mehr Serviceleistungen, hochwertigere Produkte, Upcycling – und muss ein Unternehmen immer endlos wachsen?

Was brauchen wir jetzt wirklich?

Was brauchen wir denn hier bei uns an Lebensqualität? Wenn wir mit unserem Überangebot an materiellem Lebensstandard keine wirkliche Verbesserung der Lebensqualität mehr erreichen können, unser Überkonsum längst dramatische Folgen für Klima, Resscourcen und Überleben hat – was ist jetzt tun oder auch zu lassen? Wie lässt sich mehr wirkliche Lebensqualität finden? Dazu nachfolgend einige Überlegungen:

1. Zeit / Muße

Unser Leben ist oftmals völlig durchgetaktet. Ich bemerke, dass es heute gar nicht mehr so einfach ist, sich einfach mal Zeit zu nehmen – ohne Plan, To-Do-Liste oder Zeitmanagement, ungeplant, einfach so.
Neulich viel es mir bei mir selbst auch wieder auf. Ich saß nichtstuend auf dem Sofa, einfach so, nichts planend, einfach nur da sitzend und dachte: „Stimmt, das habe ich früher öfter gemacht und es war wohltuend.“ Es gibt zudem noch viel mehr Möglichkeiten des vermeintlichen Nichts-Tuns: das Flackern der Kerze beobachten, den vorüberziehenden Wolken nachschauen, bei einem Spaziergang die Luft genießen (ohne gleich an Wellness, körperliche Fitness oder sonstwas zu denken), zum zwanzigsten Mal den gleichen Song hören, einfach weil ich ihn gerade so schön finde, usw.
Nehmen wir eigentlich diese vielen kleinen Möglichkeiten noch wahr? Nehmen wir uns selbst noch wahr, anstatt nur irgendeiner Idealvorstellung von uns? Bekommen wir wirklich noch mit, was uns gut tut?

2. Weniger Reiz- und Informationsüberflutung

Um es klar zu sagen: Ich liebe es, mich heute so schnell und unkompliziert informieren zu können. Es ist wunderbar, wie schnell wir uns vernetzen können. Ich genieße es besonders, dabei nicht nur auf die klassischen Medien wie Fernsehen, Radio und Tageszeitung angewiesen zu sein. Die sozialen Netze, die vielen Internet-Blogs, Podcasts und klassischen Webseiten sind wunderbar und mein derzeitiger Genuß einer E-Book-Ausleih-Flatrate ist kaum zu toppen.
Aber: Wo sind die Grenzen? Wo sind meine Grenzen? Wie aufnahmefähig bin ich denn noch? Und wieviel Raum brauche ich, all diese Reize, Informationen noch zu verarbeiten?

 3. Kreativer Freiraum

In unserer reizüberfluteten und gleichzeitig oft so durchorganisierten Welt, ist es schwierig, dann noch kreativen Freiräume zu entwickeln. Kreativität braucht inneren und äußeren Raum. Kreativität meine ich hier nicht als „Bastel-Aktivität“, sondern als das Erschaffen neuer Ideen und Lösungswege, das Erstellen ungewohnte Verknüpfungen, etc..
Probleme gibt es nun wirklich genug, aber wie lösen wir sie? Ich denke, es braucht dringend die vielen und ganz unterschiedlichen kreativen Kompetenzen. Welche neuen Möglichkeiten oder ungewohnten Wege sollten mal einfach ausprobiert werden? Wieviel Freiräume zum Experimentieren, Probieren, Scheitern und Neuprobieren geben wir Menschen eigentlich? Heute ist es recht leicht, an Wissen heran zu kommen. Aber wie ordnen wir dieses Wissen dann ein? Was stellen wir mit diesem Wissen an? Was hat es mit unserem konkreten Leben zu tun? Wie setzen wir dieses Wissen praktisch um? Und wie lernen wir, wichtig von unwichtig zu unterscheiden?

4. Interessen, Talente, Leidenschaften

Ich denke, Interessen, Fähigkeiten und Talente sollten so genutzt werden, wie sie da sind. Es gibt z.B. geniale handwerkliche Tüftler, die Lösungen für nahezu jedes praktische Problem finden. Oder der Gärtner mit dem berühmten grünen Daumen. In der Zeit, in der ich als Erzieherin tätig war, hatte ich mal eine Kollegin, die wirklich genial gut und leidenschaftlich gerne aufräumte. Ein Segen für den Kindergarten, in dem wir beide damals arbeiteten. Auch erinnere ich mich an eine Familienmutter, die wirklich gerne geputzt hat, ohne deshalb zum Putzteufel zu mutieren. Ruckzuck war bei ihr alles fertig.
Das Problem unserer Gesellschaft ist, dass Menschen mit praktischen Talenten in der Regel sehr viel weniger verdienen, als Menschen mit Studienabschluss. Dadurch besteht die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche in Arbeitsbereiche gedrängt werden, in denen sie nicht wirklich glücklich sind und ihre Begabungen nur unzureichend ausleben können. Dabei brauchen wir solche Begabungen auch. Was nützen z.B. die schönsten Upcycling-Konzepte, Planungen zur besseren und schonenderen Ressourcennutzung, wenn es nicht auch diejenigen gibt, die die Fähigkeit haben, solche Konzepte und Planungen mit Leben zu füllen und auch für die erst dann auftauchenden Schwierigkeiten einen vielleicht originellen Lösungsweg zu finden?
Wie könnte es gelingen, dass Talente besser zur Entfaltung kommen können? Geben wir Ihnen wirklich genügend Raum oder haben wir gleich immer die „bringt-zu-wenig-Geld“-Schere im Kopf? Was braucht es – außer mehr finanzieller Verteilungsgerechtigkeit – noch?

5. Miteinander statt gegeneinander

Immer wieder zu einem Miteinander zu finden, statt gegeneinander. Muss es wirklich immer die Konkurrenz sein, das Mehr-haben-Wollen? Es gibt wunderbare Beispiele des Miteinanders, des Teilens, des gemeinsam Feierns und Genießens. Darüber hinaus können wir auch miteinander nach mehr gemeinsamer Lebensqualität suchen, statt jede/r für sich alleine. Wir können aber auch miteinander arbeiten, uns unterstützen, in schwierigen Lebenssituationen Mut machen. Unser Leben kann dadurch viel reichhaltiger, lebendiger und entspannter zugleich werden. –

Lebensqualität: die bloße Maximierung von materieller Übersättigung überwinden

Natürlich sind das jetzt nicht alle Aspekte, die mehr Lebensqualität ausmachen. Auch sind es vorrangig eher Fragen als Antworten. Aber genau da fängt es auch an: Sich und anderen einfach mal Fragen stellen können und dürfen. Vielleicht müssen wir auch nicht gleich und sofort die fertigen und perfekten Antworten haben, sondern wach bleiben, neue Lebensentwürfe ausprobieren und uns immer aufs Neue bewusst machen, dass Lebensqualität nicht automatisch nur mit materiellem Lebensstandard gleich zu setzen ist und statt dessen zu schauen, was darüber hinaus weist.

 

 

8 thoughts on “Mehr Lebensqualität durch Minimalismus – 5 Anregungen

  1. Denke ich selbst oder werde ich gedacht? (Harald Welzer) Informationsdiät tut so gut! Das merke ich diese Tage. Internet braucht man gar nicht. Ich vernetze mich lieber wieder mehr mit realen Menschen.

    1. Ich denke, dass es generell sehr wichtig ist, ab und an auch einfach mal wieder den Kopf klar zu bekommen, zur Ruhe zu kommen. Dein Zitat von Harald Welzer kann man ja nicht oft genug lesen – einfach genial. Genau das ist es!

  2. Hallo Gabi!

    Ich habe gerade in den letzten beiden Jahren sehr viel darüber nachgedacht, warum das mit der Globalisierung und mit den ausbeuterischen Arbeitsbedingungen so entstanden ist.

    Und das hängt ganz viel damit zusammen, dass Handwerk und Handarbeit, was ja sehr zeitintensiv ist, nicht mehr fair bezahlt wird. Es ist einfach zu teuer. Eines ergibt das andere. Wenn Shirts um 3,50 Euro verkauft werden und die Strickmütze 5,– Euro kostet, dann bezahlt keiner die 10 Stunden Arbeit, die in einer handgestrickten Mütze stecken fair.

    Derzeit braut sich gerade ein neuer Blogbeitrag in meinem Kopf, weil ich vor kurzem so ein Erlebnis hatte. Ich habe nämlich einen Vesuch gestartet und handgefertigte Teile versucht zu verkaufen. Selbst da, wo 30 Stunden Arbeit drin stecken und ich einen lächerlichen Preis von 20,– Euro inkl. Material veranschlagt hatte, wurde gehandelt, weil man nicht bereit war, die Kosten für den Versand zu bezahlen.

    Welchen Wert hat die Arbeit habe ich vor langer Zeit schon gefragt und das hat sich leider in unserer Zeit sehr verändert. Wert hat nur noch Konsum aber nicht mehr das, was konsumiert wird. Und davon profitieren nur wenige.

    lg
    Maria

    1. Ja, genau solche Dinge schreien zum Himmel. Mir geht das wirklich zunehmend ‚auf den Keks‘. Bezahlung hat schon lange nichts mehr damit zutun, wieviel Arbeit hinein gesteckt wird. Ich habe da auch noch nicht die Lösung im Kopf. Aber grundsätzlich weniger zu konsumieren, weniger Krams anzuhäufen und dafür lieber ein z.B. handgefertigtes Teil, welches dann auch gut ist, fair bezahlt und vielleicht einfach mal Leute hier vor Ort auch unterstützt, könnte ja mal ein Ansatzpunkt sein. Jeder Euro, den wir für irgendwas investieren, ist letztlich immer auch eine Entscheidung dafür, in welcher Welt wir leben wollen, was wir unterstützen und was nicht. Das hat natürlich Grenzen, nicht alles geht mal so eben. Trotzdem wird es mir immer wichtiger, so etwas im Blick zu behalten.

      1. Hallo Gabi!

        Genau so ist es!

        Wir müssen endlich einmal weg kommen von mehr ist mehr. Wenn ich ein wirklich tolles Teil habe, das ich liebe und das ich fair bezahlt habe und so lange trage, wie es möglich ist, habe ich vermutlich viel weniger bezahlt als die 20 billigen Teile statt dessen in der selben Zeit gekostet hätten.

        Qualität und Arbeit hat nun mal ihren Preis. Und der Konsument hat die Macht es anders zu machen, das vergessen nur alle.

        lg
        Maria

  3. Erstaunlich eigentlich. Ganz oft denke ich, dass wir doch. Gerade Zeit am meisten haben müssten? Und damit doch auch noch so viel mehr Lebensqualität. Unser technologischer Fortschritt ermöglicht es uns so unsagbar viele Dinge gleichzeitig zu tun. Auch als Hausfrau. Während die Waschmaschine läuft, übernimmt der Geschirrspüler den Abwasch. Staub wird nur noch vom iRobot – oder wie sie alle heißen – übernommen und was ich zu denken habe, bestimmen Medien und Konsorten.

    Dennoch höre ich überall, wir haben keine Zeit.
    Jedem fehlt an Lebensqualität und jeder beginnt verzweifelt Dinge wie Wellness, SPA, Yoga und Begriffe wie Ausgleich und Work-Life-Balance zu nutzen. Ich selber finde mich ab und an in diesem Hamsterrad und frage ich mich, was das eigentlich alles soll?

    Ich für mich habe beschlossen: ich lebe das Jetzt. Auch wenn ich Badputzen bäh und 16h Kinderbetreuung non-stop manchmal durch aus herausfordernd finde. Dinge wie Ideen spinnen, die brauche ich. Ich merke,
    1. es tut mir gut.
    2. es macht so unglaublich großen Spaß, über ein eigenes Gartencafé oder eine Ideenfabrik nachzugrübeln…

    Liebe Grüße und viel Spaß mit diesem fast eigenständigen Blogbeitrag auf deiner Seite von mir. ?

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