Ich habe seit einiger Zeit die Möglichkeit, an einer MBSR-Übungsgruppe teilzunehmen. Angeboten wird diese Gruppe nicht als der übliche 8-Wochen-Kurs, sondern für diejenigen, die bereits über Erfahrungen mit MBSR verfügen (eine wirklich klasse Idee!). Wie es mir damit ergeht, möchte ich hier einmal am Beispiel der letzten Übungsgruppenstunde vom letzten Donnerstag darstellen:
Der äußere MBSR-Rahmen in Bochum
Es war die erste Gruppenstunde, die in den neu renovierten Räumen eines Gebäudes aus den 50er-Jahren stattfanden. Vielen Bereiche des Gebäudes befanden sich noch in der Renovierung. Von außen wirkte es zunächst mal so auf mich, als könnten demnächst einige Platten von der Außenfassade abfallen. Innen war aber bereits das Potential dieses Gebäudes deutlich zu erkennen. Mich erwartete ein großer Flur, außerdem war ein wirklich wunderschöner Treppenaufgang zu sehen. Der bereits fertig gestellten WC-Bereich im Erdgeschoss hatten noch diese z.T. wunderbar geschwungenen Fliesen früherer Zeiten und herrliche Details, wie einen in die Fliesen eingearbeiteten Handtuchhaken. All das war kombiniert mit einer super modernen WC-Anlage. Wirklich traumhaft schön. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich an solchen Details mal erfreue.
Der im Erdgeschoss befindliche, helle MBSR-Übungsraum strahlte bereits jetzt Ruhe und Klarheit aus. Einige Details würden noch fehlen, was mir – ohne den Hinweis darauf – überhaupt nicht aufgefallen wäre (Ich habe es ja eh gerne minimalistisch). 10 Personen können in dem Raum maximal üben – also eine wunderbar überschaubare Anzahl von Teilnehmern.
Die MBSR-Übungen und ihre Wirkung auf mich
Die Übungsstunde begann mit Yoga im Stehen. Tja, und da komme ich bereits an meine Grenzen – woran dann die schönen Räume auch nichts ändern. Die gesamte Statik von Füßen und Beinen ist nicht so, wie sie sein sollte. Daran hat sich auch in jahrelanger Körperarbeit, Krankengymnastik, etc. nichts geändert. Ich kann zwar stehen, aber sobald ich einige Zeit länger ruhig stehe, schmerzt es. Schnell wurde mir klar: Ok, lange stehen funktioniert nicht. Zeitgleich wurde mir nochmal bewusst, dass ich ja wegen meiner Schwerhörigkeit auch noch eine FM-Anlage um den Hals hatte (eine technische Hilfe für Hörgeräteträger, wenn die Hörgeräte in größeren Räumen beim Sprachverständnis an ihre Grenzen kommen). Mich durchströmte Traurigkeit, denn ich habe mich in diesem Moment so behindert gefühlt, wie eigentlich noch nie vorher.
Früher habe ich dies einfach überspielt, indem ich den Ehrgeiz hatte, mit dem normalen Standard mithalten zu wollen, aber außer Verkrampfung ist dabei nicht viel heraus gekommen. Jetzt konnte ich zum Glück endlich akzeptieren, mich dann einfach auf einen Stuhl zu setzen und die Übungen – soweit möglich – im Sitzen mitzumachen. Während der einzelnen Yoga-Übungen, aber auch später bei Bodyscan und Sitzmeditation, waren immer wieder einzelne Anleitungen zur Metta-für-Mich eingestreut, also mitfühlend-freundlich mit sich selbst umzugehen. Für mich war dies ein guter Erinnerungsanker, wirklich freundlicher, mitfühlender, angemessener mit mir und meinen gerade so stark fühlbaren körperlichen Grenzen umzugehen. Immer, wenn ich gerade dabei war, mich dann doch wieder zu verkrampfen, wurde ich dank der im Übungsablauf integrierten Metta-Achtsamkeit daran erinnert, loszulassen, meine zu hohen Standards quasi einfach immer wieder zu „entrümpeln“: All die verquerten und überhöhten Ansprüche an mich, an sich in mir breit machendem Perfektionismus und „ich-will-das-auch-so-gut-wie-andere-können“. Der Buchtitel von Raul Krauthausen „Dachdecker wollte ich eh nicht werden“ fiel mir plötzlich ein (das Buch will ich unbedingt noch mal lesen!) Und dadurch kam die befreiende Erkenntnis für mich: „Ok, und ich wollte eh keine Ballett-Tänzerin werden, keine rhythmische Sportgymnastin. Ich hatte nie, wirklich niemals den Wunsch Eis-, oder sonstige Prinzessin zu werden und Tütü-Kleidchen sind für mich der blanke Horror. Es gibt einfach Dinge, die muss ich nicht können, die muss ich nicht haben, sie interessieren mich zum Glück überhaupt nicht. Juchuh!
Befreiendes Entrümpeln überhöhter Ansprüche
Diese Erfahrung war und ist sehr befreiend für mich. Nicht nur irgendwelche überflüssigen Gegenstände lassen sich entrümpeln und minimalisieren, sondern auch die eigenen überhöhten Ansprüche, Leistungsstandards und unpassende Durchschnitts-Sportlichkeiten. So etwas raubt viel zu viel Energie und führt bei mir nur zur Verkrampfung. Eine Energie, die für anderes, passenderes genutzt werden kann. Über persönliche Grenzen nicht einfach hinweg trampeln. Die eigenen Grenzen wahrnehmen. Dank der in Yoga, Bodyscan und Sitzmeditation integrierten Metta-für-mich-Achtsamkeit, bin ich zwischendrin immer wieder daran erinnert worden, nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurück zu fallen. Das war eine hilfreiche und für mich sehr entlastende Erfahrung.
Hallo Gabi,
danke für den Beitrag MBSR sagte mir bisher gar nichts, habe es ersteinmal nachlesen müssen. Sehr interessant. Ich versuche mit ständig an Achtsamkeitsübungen im Alltag. Das tut jedes Mal gut.
Gruß, Marco
Hier gibts nochmal Informationen zu MBSR (Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion): http://www.mbsr-verband.de/mbsr-mbct/mbsr.html
Ich bezeichne es auch gerne als Minimalismus für Körper und Seele
Liebe Gabi
Gerade heute morgen, als ich Joggen & Walken war und innerlich damit haderte, dass ich halt nur eine relativ kurze Strecke jogge und eine wesentlich längere Strecke walke, kam ich auch an dem Punkt, an dem ich meine Ansprüche „Ich muss ebenfalls wie andere sein und ganz lange joggen können und auf den Marathon hin trainieren“ losließ.
Für mich wird es zunehmend wichtiger, das was ich tue, mit Freude zu tun. WIE vor WAS. Und das alles ist ein Prozess, das Loslassen überhöhter Ansprüche ist kein einmaliges Erlebnis, sondern ein Prozess.
Und ja, klar, Minimalismus findet auf allen Ebenen statt. Man kann nicht nur Dinge entrümpeln. 🙂
Herzlich, Barbara
WIE vor WAS – Ja, das ist eine schöne zusammenfassende Beschreibung. Diese elendige Gleichmacherei, das Reiben an unpassenden Standards ist einfach Zeit- und Energieverschwendung, da immer wieder zu entrümpeln finde ich in der Tat sehr hilfreich – wenn auch nicht immer einfach.
Hallo Gabi,
mich interessiert mal, ob du dann eine gute Feinmotorik hast als Ausgleich? Ich bewege mich sehr eckig. Sport hat mir nie Spaß gemacht. Ich kann Tai Chi auch nicht rund machen. Hab das nach einem Jahr wieder sein lassen. Bleibe überall hängen mit den Ärmeln, kriege keine Verschlüsse auf, Gläser halten bei mir nie lange. Bei mir geht überhaupt viel zu Bruch weil ich sehr umwerfend bin. Die Kombination hochsensibel und müde, da wird ja eh zum Tollpatsch. Dafür habe ich eine super Feinmotorik. Zum Glück! Deswegen meine Frage! Das Minderwertigkeitsgefühl entrümpeln wir! Das brauchen wir nicht! Manchmal hab ich ganz tolle Momente ohne Sport. Da lebe ich in meinem Körper!
Ganz liebe Grüße
Tanja
Die Feinmotorik, gerade in den Fingern, funktioniert bei mir recht gut, bekomme auch sowas wie Nähen hin, etc. – Aber diese Tolpatschigkeits-Phasen habe ich auch, gerne auch in Form von zerbrechendem Geschirr. Ich glaube, dass ist bei mir dann auch vorrangig dann, wenn ich reizüberflutet und müde gleichzeitig bin. Eine sehr ungünstige Kombination. – Tolle Momente im Körper auch ohne Sport – yeah, dass klingt super!
Hallo Gabi!
Finde ich super, dass Du das so gut geschafft hast, die Situation so zu richten, dass es für Dich gut gepasst hat und daraus auch noch einiges für Dich selbst mitnehmen konntest.
In den letzten Monaten hatte ich viele ähnliche Situationen zu bewältigen und daher kann ich das sehr gut nachvollziehen. Meine Behinderungen sind noch nicht so lange bei mir, daher tue ich mir noch sehr schwer damit umzugehen und kann sie auch noch nicht wirklich als dauerhaft akzeptieren. Das macht es im Moment sehr schwer für mich.
Deine Beiträge zu dem Thema sauge ich daher immer sehr intensiv auf, danke dafür!!!
lg
Maria
Es ist wirklich nicht so einfach, die eigenen Einschränkungen mal so zu nehmen, wie sie halt sind. Es ist immer wieder aufs Neue ein Prozess für mich – allerdings mit Fortschritten, das merke ich schon. Aber die ganzen klugen Sprüche von früher, die Sport- und Gymnastiklehrer, Physiotherapeuten, Krankengymnasten, Fitnesstrainer, Thai-Chi-, Yoga- und weiß ich was für Lehrer für mich hatten, haben mir da wirklich nicht besonders geholfen. Das sind nämlich immer Leute, die selbst viel Körpergefühl und Fitness haben (sonst würden sie ja nicht so einen Job machen) und somit kaum wirklich nachvollziehen können, wie das ist, wenn man bzw. frau eben nicht so fit ist. Diese Sprüche, wie „du must halt mehr üben, trainieren, das wird dann schon, du bist es quasi selbst Schuld“, die k… mich echt an. Erst die letzten Jahre, wo ich im MBSR mal einfach meinen Körper so wahrnehmen kann wie er ist – ohne ihn zu optimieren, komme ich auch mal besser damit klar. Es ist natürlich schön, wenn nicht nur mir das hilft 🙂