7 Jahre Achtsamkeit: Wirkliche Bedürfnisse

Vor 7 Jahren entdeckte ich Achtsamkeit und Meditation für mich. Vieles hat sich dadurch geändert und verändert. Da dies nicht alles in einen einzigen Text hineinpasst, heute Teil 2:

Wirkliche Bedürfnisse

Als Sozialpädagogin (und im Erstberuf Erzieherin) bin ich schon aus beruflichen Gründen vorrangig fokussiert auf die Bedarfe anderer Menschen. Das ist seit Jahrzehnten mein Beruf und ich mache diesen Beruf tatsächlich immer noch sehr gerne. Aber natürlich ist so ein Beruf auch anstrengend und belastend. Ich spürte diese Belastung irgendwann immer deutlicher, die Stressymptome nahmen zu – was mich letztlich auch zu Meditation und Achtsamkeit brachte.

Im Rahmen der unterschiedlichen Achtsamkeitsübungen, gelangte eine Frage im Laufe der Zeit immer mehr für mich in den Mittelpunkt: Wo bleibe ICH eigentlich? Was ist MEIN Bedarf? Was sind meine wirklichen Bedürfnisse? Alle möglichen Wünsche hatte ich durchaus. Aber Wünsche sind einfach das, was sie sind: Wünsche. Sind sie deshalb auch meine wirklichen Bedürfnisse?

Wünsche konsumieren, statt Bedürfnisse erfüllen

Monatelang übte ich überwiegend ‚Metta für mich selbst.‘ Ich bemerkte, dass die jahrzehntelange überwiegende Konzentration auf das Wohlergehen Anderer dazu geführt hatte, dass ich innerlich blind geworden war für meine persönlichen Bedürfnisse. Es fühlte sich an, als seien diese irgendwo im Nebel unsichtbar geworden oder in irgendeinem Dickicht verloren gegangen. Achtsamkeit brachte mich dazu, zu erkennen, dass das, was ich für meine Bedürfnisse gehalten habe, keine wirklichen Bedürfnisse waren. Irgendwelche technischen Gadgets, der neue PC oder zumindestens ein paar neue Zusatzteile für den Computer: das waren lediglich Wünsche. Es war die Faszination des Neuen, mit der uns die Konsumindustrie eine heile Welt vorgaukeln möchte und die ich zeitweise gerne übernahm. Es war für mich die wunderbare Ablenkbarkeit von den Belastungen des Alltages und der Wunsch, mir etwas Gutes zutun. Aber genau das gelang mir damit nicht. Mit der Erfüllung von Konsumwünschen kam nur kurzfristige Zufriedenheit. Das gute Gefühl hielt nur kurz und wich neuer Unzufriedenheit.

Wirkliche Bedürfnisse entdecken

Ich entdeckte im Laufe der Zeit ganz andere Bedürfnisse. Mein Bedürfnis nach Information und dem Stillen meiner Neugier, kann ich beispielsweise mit einem internetfähigen Gerät sehr einfach und bequem nachkommen. Ich brauche dazu aber nicht ständig ein neues Gerät – erst Recht nicht, wenn dieses dann lediglich für ein kurzfristiges Gute-Laune-Gefühl sorgt. Mein Bedürfnis mich über das Schreiben auszudrücken, kann ich beim Tippen auf einer Computertastatur natürlich sehr viel besser nachkommen, als auf einer handelsüblichen Schreibmaschine früherer Tage. Insbesondere ist es für mich sehr viel einfacher, als alles mit der Hand zu schreiben. Aber auch zum Schreiben brauche ich nicht ständig ein neues Gerät oder neue, aufwändige Software. Im Gegenteil: Nutze ich früher eine umfangreiche Textverarbeitung, reicht mir heute meistens ein kleiner Editor.

Ein weiteres Beispiel: Jahrelang hatte ich den Wunsch, sportlich mit anderen Menschen so einigermaßen mithalten zu wollen. Es gelang mir nie. Es war halt ein Wunsch, der nicht zu meinen wirklichem Bedarf passte. Einige meiner von Geburt an vorhandenen körperliche Einschränkungen fielen zwar nie sonderlich auf – sie waren und sind aber da. Gerade durch Gehmeditation und achtsames Yoga spürte ich sie dann deutlich wie nie. Es war ein langer und schwieriger Prozess, mein ganz persönliches Sosein zu akzeptieren und mich – endlich – meinen Möglichkeiten entsprechend, bewegen zu können oder eben auch nicht. Die langsam ausgeführten Bewegungen in der Gehmeditation und in den Yogaübungen des MBSR’s haben mir zu mehr Körpergefühl verholfen, als all die vielen Fitness- und Gymnastikstunden mit denen ich mich jahrelang zuvor beschäftigt hatte.

Die Faszination mich in einer Atemmeditation wirklich nur auf eine Sache, nämlich das Atmen, beschränken zu können, führte mich zu einem weiteren wesentlichen Bedürfnis: Dem intensiven Wunsch nach „Weniger ist mehr.“ Reizüberflutungen im Alltag, aber auch den eigenen vier Wänden abzubauen war und ist für mich ein ganz wesentlicher Aspekt von Lebensqualität. Achtsamkeit führte dazu, dass mir mein teilweise hohes Maß an Sensibilität deutlich geworden ist. Dies brachte mich im Laufe der Zeit zu der Erkenntnis, wie wichtig es ist, nicht einfach darüber hinwegzugehen. Minimalismus ist insbesondere auf diesem Hintergrund einfach ein ganz persönliches und wichtiges Bedürfnis von mir, um nicht im Dschungel der tausend Wahrnehmungen und Ablenkbarkeiten kirre zu werden.

 

Aufmerksamer mit mir und aufmerksamer mit Anderen

7 Jahre Achtsamkeit haben übrigens nicht dazu geführt, dass ich nun zu irgendeinem Egoisten mutiert wäre. Im Gegenteil. Je deutlicher mir meine wirklichen Bedürfnisse geworden sind, desto entspannter und klarer war und bin ich im Kontakt mit anderen Menschen – auch im beruflichen Kontext. Es gab Zeiten, in denen ich dank meines großen beruflichen Erfahrungsschatzes eigentlich nur noch funktioniert habe. Doch das hilft letztlich Niemandem und ließ mich zunehmend unzufrieden werden. Heute bin ich zum Glück wieder sehr viel zufriedener, entspannter und in meiner beruflichen Arbeit fokussierter und klarer geworden.
>Zum Weiterlesen:

7 Jahre Achtsamkeit: 1. Minimalismus

 

 

 

5 thoughts on “7 Jahre Achtsamkeit: Wirkliche Bedürfnisse

  1. @Martin Kralik, @Nanne, es freut mich natürlich immer, wenn meine Zeilen für die Leser_Innen Anregung und Inspiration sind und vielleicht die ein oder anderen Aspekte aus dem eigenen Leben kennen. Minimalismus ist so viel mehr, als irgendwelche Zählereien von Dingen und Achtsamkeit ist auch viel mehr, als „nur“ zu meditieren.

  2. Liebe Gabi,
    ich lese immer gerne deine Artikel – trotzdem freu ich mich über diese Zusammenfassung noch ein bisschen mehr.
    Das ist eine Inspiration selbst nochmal nachzudenken – welchen Weg bin ich gegangen? Was möchte ich noch umsetzen?
    Liebe Grüße
    Nanne

  3. Sehr erkennbar als Musiktherapeutin in der Psychiatrie ergeht es mir ähnlich. Sorgen für Patienten und mich belohnen mit Dingen. Die Akzeptanz des eigenen seins ist manchmal nicht so einfach und anstrengend wenn wir es NICHT tun. Danke für Deinen ehrlichen Text.

    1. Interessanterweise stelle ich fest, dass je freundlicher und fürsorglicher ich mit mir selbst umgehe, desto klarer bin ich auch gerade auch im beruflichen Kontext. In dem ganzen mitunter großen Wust an Themen, Problemen und Konflikten, in den ich mitunter gerate, bin ich sehr viel weniger aktionistisch und erkenne den roten Faden in all dem leichter. Wirklich spannend.

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