Handy für Schwerhörige – 12 Forderungen

Handy für Schwerhörige – die Situation

Im Alltag ist es noch immer so, dass Handys bzw. Smartphones für Schwerhörige und Handys für Senioren in einem Atemzug genannt werden. Dabei sind nicht alle Senioren schwerhörig und nicht alle Schwerhörigen im Seniorenalter. Es gibt auch schwerhörige Kinder, Jugendliche und Erwachsene in allen Altersstufen.  Auch sind Schwerhörige durchaus in der Lage, ein ganz normales Handy zu bedienen – sei es ein Smartphone oder Einfachhandy. Was Schwerhörige nicht so gut können: Beim Telefonieren ausreichend verstehen.

Ich habe als mittelgradig Schwerhörige auch so meine Probleme, insbesondere beim Telefonieren. Meine Geschichte mit dem Telefonieren scheint endlos, da kann der Akustiker die Hörgeräte einstellen, wie er will. Ich habe schon alles mögliche ausprobiert, auch schon diverse Schwerhörigen-Handys, wie das Smartphone Dorophone 8031. Immer wenn ich dachte, eine Lösung gefunden zu haben, tauchten irgendwelche Probleme auf – nahezu immer mit irgendwas. Nachfolgend meine Auflistung, was ich aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen an Verbesserungen, Neuentwicklungen und Standards für Schwerhörigen-Handys und -Smartphones sinnvoll finde:

12 Forderungen/Wünsche an ein Handy / Smartphone für Schwerhörige:

1: Besserer Sprachklang durch größeren Umfang an Tonfrequenzen

Eine gewisse Lautstärke ist gut und notwendig, reicht aber nicht. Ich hatte schon sehr laute Handys und habe trotzdem nichts verstanden. Insbesondere für Menschen mit einer Innenohr-Schwerhörigkeit ist zusätzlich wichtig, dass eine bessere Klangqualität und ein sehr breites Spektrum an Tonfrequenzen mit mind. 7 kHz, besser bis zu 20 kHz verfügbar ist. Derzeit finde ich dies unter den Begriffen „HD-Voice“ bzw. „HD-Voice plus“ und „Crystal Clear“ (EVS-Codec – Enhanced Voice Services). Während HD-Voice schon öfter möglich ist, ist der EVS-Codec („Crystal Clear“ bei Vodafone und „HD Voice Plus“ bei Telekom) derzeit noch recht teuer und nicht häufig anzutreffen. HD-Voice kenne ich inzwischen aus eigener Erfahrung. Dies scheint der eigentliche Schlüssel für das Telefonieren bei Schwerhörigkeit zu sein. Selbst mit einem qualitativ mässigen Einsteiger-Smartphone kann ich damit telefonieren – allerdings nicht in jedem Netz. Mit D2 klappt es gut, bei Alditalk (E-Plus/O2) verstehe ich kaum etwas. Mit HD-Voice in alle Netze telefonieren zu können, sehe ich als Mindeststandard für ein Smartphone für Schwerhörige.

Aktualisierung vom 10.7.18 – VoLTE:
Das E-Plus/O2-Netz scheint sich bei der Sprachverständlichkeit inzwischen verbessert zu haben. Trotzdem verstehe ich im D2 Netz deutlich besser. Interessant ist es auch, auf das Stichwort VoLTE zu achten, auch dort ist die Sprachqualität deutlich besser. Häufig sind aber noch nicht alle Handys dafür freigeschaltet, oft nur recht teure Geräte mit teuren Verträgen. Hier jedoch eine Übersicht mit preisgünstigeren Handys, sog. Open-market-Smartphones, die nicht zwingend beim Anbieter gekauft werden müssen, um in den Genuß besserer Sprachqualität zu kommen: http://www.areamobile.de/news/42457-volte-lte-telefonie-auch-mit-open-market-smartphones-moeglich .

Aktualisierung 5/2019 – Alternative Video-Chat / Video-Telefonie / Audio-Chat
Versuchen Sie es auch einmal mit Video-Chat. Die Sprachverständlichkeit scheint ebenfalls deutlich besser zu sein. Außerdem erleichtert es gerade auch bei Schwerhörigkeit sehr, wenn man das Gegenüber nicht nur hören, sondern auch sehen kann. Mich selbst entlastet dies enorm und auf diese Weise hat das Telefonieren hat so ein wenig für mich seinen Schrecken verloren. Über die meisten Messenger, wie Telegram, Threema, Signal usw., ist auch Audio-Chat möglich. Das ist letztlich nichts anderes als Telefonieren, aber eben über einen Messenger. Auch hier ist die Sprachübertragung durch die deutlich besseren und erweiterten Tonfrequenzen sehr viel besser.

2. Hörgerätekompatiblität

Handys für Schwerhörige sollten durchgängig hörgerätekompatibel sein (T4/M4). Ideal wäre, wenn sich das Handy an die besondere Höreinschränkung des Nutzers anpassen ließe. Mehr und noch bessere Zusammenarbeit zwischen Hörgeräte- und Handyherstellern wäre hier sinnvoll.

3. Induktives Telefonieren

Beim Umschalten auf die T-Spule des Hörgerätes sollte induktives Telefonieren möglich sein. Dadurch wird der Ton direkt auf die Hörgeräte übertragen und so ein viel besseres Sprachverständnis ermöglicht.

4. Audioanschluss und Bluetooth

Für Schwerhörige ist es eine große Erleichterung, wenn Sie einen Audioanschluss für ein spezielles Headset für Hörgeräteträger nutzen können.

5. Telefonieren über Bluetooth

Bei Telefonieren über Bluetooth kam es bei mir immer wieder zu kurzen Zeitverzögerungen. Verbesserungen wären hier dringend erforderlich, da oft wichtige Anfangsinhalte eines Gespräches, z.B. der Name des Gegenübers, verloren gehen. Ein einfaches an- und ausschalten der Bluetooth-Funktion ist ebenfalls sinnvoll. Diese sollte nicht in den tiefsten Menüeinstellungen versteckt sein. Bluetooth verbraucht sonst zuviel Akkuleistung.

6. Freisprech-Modus

Auch ein Freispruch-Modus ist sinnvoll, um auch auf diese Weise ein besseres Sprachverständnis zu ermöglichen.

7. Textfunktionen

Komfortable Textfunktionen, wie ein insb. Tippen beim Schreiben von SMS- oder Chatnachrichten sollte selbstverständlich sein.

8. Bessere Unterstützung für Notfälle

Teilweise ist es schon früher möglich gewesen, eine SMS als Fax zu versenden. Dies sollte gerade für hochgradig Schwerhörige und Gehörlose ausgebaut werden – insbesondere für Notfälle. Viele Notfalldienste haben für Schwerhörige und Gehörlose eine Faxnummer für Notfälle, aber wer unterwegs ist, hat nunmal üblicherweise sein Faxgerät nicht dabei. Ein App oder eine erweiterte SMS-Funktion, bei der persönliche Daten, sowie Notfall-Faxnummer eingespeichert werden können, wären ideal – ebenso die Möglichkeit einer Standort-Mitteilung für Notfall-Situationen und Textbausteine, sowie die Möglichkeit, dass Feuerwehr oder Polizei den Schwerhörigen/Gehörlosen auch über diese Fax-Funktion antworten können.

9. Stabiler und langlebiger Akku – einfache Austauschbarkeit des Akkus

Gerade als Schwerhörige sind wir auf ein problemlos funktionierendes Handy/Smartphone angewiesen. Daher sollte die Akkuleistung auch einen Tag mit evtl. häufiger Nutzung des Handys gut überstehen und im Bedarfsfall einfach austauschbar sein.

10. Vermeidung von Sollbruch-Stellen

Im Notfall können wir als Schwerhörige nicht selbst mal eben auf ein Handy eines Freundes, Bekannten oder Fremden zurück greifen, weil wir nichts damit verstehen würden. Ist ein stabiles und gut funktionierendes Handy immer sinnvoll und schon aus Gründen der Nachhaltigkeit zu empfehlen, ist dies für Schwerhörige besonders wichtig. Wir brauchen einfach ein Gerät, welches verlässlich funktioniert.

11. Reparierbarkeit, Aufrüstmöglichkeit

Wir sind technisch längst so weit, dass Handys/Smartphones auch so hergestellt werden, dass sie im Bedarfsfall aufgerüstet werden können und insbesondere auch reparierbar sind. Hier könnten durchaus auch besondere Serviceangebote entwickelt werden.

12. Noch ein Wunsch…

Wenn ich schon dabei bin, dass scheinbar Unmögliche zu fordern und zu wünschen: Geht es irgendwie doch ein wenig fairer als bisher? Mit besserem Lohn und weniger Ausbeutung in den Betrieben insb. für die Billiglöhner in den Fabriken? Dann würde mir ganz nebenbei auch nicht mehr übel, wenn ich an solche untragbaren und unfairen Arbeitsbedingungen denke. Ich brauche auch nicht ständig ein neues Handy, sondern möchte ein Gerät, welches für mich funktioniert und es wäre eine tolle Sache, wenn es so etwas wie ein Fair-Label für elektronische Geräte gäbe.

Zum Weiterlesen: Informationen zu Schwerhörigkeit – Linktipp: 

Was bedeutet es, schwerhörig zu sein?  https://rehagroenenbach.wordpress.com/schwerhorigkeit-verstehen/

Kommunikation mit Schwerhörigen:  https://rehagroenenbach.wordpress.com/kommsu/ 

 

 

9 thoughts on “Handy für Schwerhörige – 12 Forderungen

  1. Ich bin zufällig über den sehr informationsreichen Bericht gestoßen. Auch ich bin schwerhörig, 36 Jahre alt und hasse es schon nach Smartphones zu suchen. Denn ich bin „nur“ im Bereich der hohen Töne so gut wie taub,im Bereich der tiefen Töne normalhörend. Wenn ich in Geschäften nach einem lauten Smartphone frage,werden mir entweder alte Seniorenhandys angeboten oder welche:“die hören sie!“ Woher will ein Mitarbeiter wissen,was oder wieviel ich höre? Ohne Hörgeräte höre ich nicht mal die Alarmanlage. Angeblich sollen die von Motorola gut für uns sein,getestet habe ich mal eins,aber irgendwas war wieder. Ich kenne es auch so nicht,dass für uns Schwerhörige/Gehörlose oder andere Behinderte etwas gemacht wird. Viele Normalhörende interessiert es nicht wie wir hören.

    1. Hallo Katja, du sprichst mir aus der Seele. Ich habe schon endlos viele Handys getestet und: Irgendwas war immer. Auf der Arbeit habe ich ein schnurgebundenes Festnetztelefon mit einem Humantechnik TA-2 Verstärker. Dieser lässt sich je nach Stimme des Anrufers lauter oder auch leiser stellen. Das funktioniert recht gut. Unterwegs texte ich fast nur und telefoniere selten oder gar nicht. Früher als es noch keine Handys gab, bin ich ja auch von A nach B gekommen. Alles was noch ein Kabel hat, funktioniert nach meinen Erfahrungen besser, als das Gedöns mit Streaming und Bluetooth. Dies gilt auch für die hörgerätekompatiblen Headsets, die es so gibt und die sich im Idealfall mit T-Spule im Hörgerät nutzen lassen. – Statt den typischen Knöpfen im Ohr, hängt man Induktionsbügel über die Ohren, direkt ans Hörgerät, dann in das T-Spulen-Programm schalten. Bisschen umständlich geht aber dann bei mir Lichtjahre besser. Ich hoffe, du findest noch irgendwas.

  2. Hallo Gabi,

    da ich, abgesehen von meinem verdorbenen Opa, keine Erfahrungen mit Schwerhörigkeit habe, war der Bericht für mich sehr interessant. Danke für den Einblick in die Schwierigkeiten bei beeinträchtigten Gehör!

    Liebe Grüße,

    Linda
    (Wir sind auf Facebook „befreundet“. 😉 )

  3. Unsere Sinne sind Wunderwerke, und meist wird uns das erst bewusst, wenn sie unzureichend funktionieren… Danke für den Beitrag. Man hofft immer, dass in unserer Gesellschaft mal ein Umdenken einsetzt, aber irgendwie mahlen die Mühlen entsetzlich langsam….

  4. Hallo Gabi,

    ich bin sehr froh, dass ich über dich immer mal wieder mitbekomme, welche Hürden es teilweise im Alltagsleben gibt, wenn die Sinneswahrnehmung beeinträchtigt ist. Sonst würde ich darüber wahrscheinlich oft gar nicht mal nachdenken. Und ich kann mir vorstellen, dass es Herstellern von Mobiltelefonen da ähnlich geht.

    Vielen Dank dafür!

    Was das Telefonieren anbelangt, habe ich darauf oft auch so schon keine Lust – auch ohne Schwerhörigkeit. Ich finde die Störungen bei der Übertragung und die indirekte Kommunikation unnötig schwierig im Vergleich zu Angesicht. Dabei ist Kommunikation doch ohnehin schon mit ausreichend Fallstricken versehen!

    Lieber Gruß,
    Philipp

    1. Hallo Philipp, da sagst du was: Es ist auch so schon kompliziert. Und anstatt an der Größe des Handys und an irgendwelchen Geschwindigkeiten, Designs usw. zu basteln, ist pures Verstehen und ein rauschfreies Telefonieren doch viel wichtiger.

  5. Schwerhörige Freunde von mir weigern sich zu telefonieren, weil es einfach nicht geht. Wir schreiben sms. Smartphones sind natürlich fantastisch für meine Gehörlosen Bekannten, da sie sich zb über skype unterhalten können und natürlich auch Lippen lesen können bei Bekannten, die keine Gebärden beherrschen. Viel Glück bei deiner Odyssee! Hoffentlich findest du ein Gerät das für dich wirklich richtig ist!

    1. Hallo Maren, danke! Irgendwann weigert man sich wirklich zu telefonieren. Da ich mal gerade mittelgradig schwerhörig bin, finde ich das schon fast ein Desaster. Ich probiere immer wieder, aber irgendwas ist immer. Insbesondere bei der Klangqualität der Handys fehlt es einfach.
      L.G. Gabi

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