Minimalismus als Reduzierung von Überfluss
Minimalismus ist in unseren Breitengraden zunächst mal ein Reduzieren von Überfluss. Wieviel ungenutzte Kleidungsstücke, wieviel nie wieder gelesene Bücher, verstaubende Deko, der wievielte Fernseher im Wohnzimmer, dazu noch einer im Schlafzimmer, einer im Kinderzimmer. Wieviel CD’s haben sich angesammelt? Wieviel Bratpfannen, Teller, Tassen, Besteck tummeln sich im Schrank? Und dann der größer werdende Maschinenpark in der Küche: Früher reichte heißes Wasser und ein Kaffeefilter, um sich einen Kaffee zu kochen – heute muss es die Multifunktions-Hightech-Maschine sein: Espresso, Latte Macchiato, Cappuccino, dazu irgendein Flavour, die dazugehörigen Extragläser, Tassen, Löffel… – Dann gibts das Ganze jetzt auch noch in der plastikmüll-produzierenden Variante – teurer Plastikkapselkaffee. Nicht zu reden von all den Computern, Laptops, Tablets, Smartphones, schicken Kopfhörern, diversen technischem Zubehör, wie Lautsprecher, Tastaturen, Computermäuse ohne Kabel. Und ständig kommen neue Produkte, Updates dazu. An den Smartphones zerbrechen die Displays, machen irgendwelche Schalter und Knöpfe schlapp und etwas Neues muss her.
Konsum als Atemlosigkeit
Es ist ein ständige Atemlosigkeit: Hinterher rennen hinter dem vermeintlichen „wenn-ich-das-gekauft-habe-dann-gehts-mir-gut-Gefühl“ oder „ich-möchte-dazu-gehören-Gefühl“. Es geht also schlichtweg um die Illusion, dass mit dem nächsten Kauf alles besser wird – vielleicht sogar die Wirtschaftslage, der Euro, die diversen Krisen in der Welt – weil es wird ja allerorts wirtschaftspolitisch herum gebetet, dass der Konsum gesteigert werden muss. Und es wird so gepredigt, als würden sich dann die Probleme in Luft auflösen – schön wär’s, denn es verdienen in der Regel vorrangig nur einige Wenige, die ihren Reichtum scheinbar ständig steigern müssen – auf Kosten der anderen Menschen, der Umwelt, unser aller Existenz.
Minimalismus als Wettbewerb
Und nun gibt es da die andere Tendenz – Menschen, die genug haben vom atemlosen Konsumieren, die Reduzieren, sich befreien von allem, was überflüssig ist. Aber da wir Kinder unserer Zeit sind, gilt es auch hier aufzupassen: Denn die Atemlosigkeit kann auch unter Minimalisten Fuß fassen: Vielleicht ist es die Sorge, gar nicht richtig minimalistisch zu sein, weil andere Leute haben ja viel weniger als ich? Und dann höre ich vielleicht noch: „Ich habe jetzt X-Dinge reduziert“, „mir reichen 2 oder 3 Pullover“ , „ich komme ohne Bett, Schrank, Tisch aus“, es gibt Bücher-, Bleistift- und Sockenzähler – alles sehr beeindruckend. Gehöre ich dann überhaupt dazu? Und wenn ich eine Beziehung, eine Familie habe und Partner/-in und/oder Kinder lieben es, Krams zu sammeln – was dann? Da kann ich leicht ins Hintertreffen geraten. Und die Frage der Verhältnismäßigkeit stellt sich: Wenn ich in Urlaub fahre und mit 2 T-Shirts auskomme, aber dafür einen beeindruckenden Technikfuhrpark mitschleppe, wie Laptop, Wechselfestplatte, Smartphone, Internetstick, und und und – wie minimalistisch ist das dann, wo ich mich doch vielleicht einfach nur ein paar Tage erholen will?
Minimalismus als Lebensstil, Minimalismus als Prozess
Ich sehe die Gefahr, Mithalten zu wollen, In-Sein, im Minimalismus letztlich genauso wie in einem konsumorientierten Lebensstil. Es geht nämlich möglicherweise immer noch um Zeugs. Diesmal halt nicht um den Wettbewerb um mehr und neueres Zeugs, sondern um den Wettbewerb um weniger Zeugs. Es gilt aufzupassen. Denn: Minimalismus ist kein Endzustand. Ich denke, es ist ein Prozess und ein Lebensstil, ein „auf-dem-Weg-Sein“ – immer wieder überprüfen, was ich wirklich benötige, liebe, brauche. Soziale Kontakte, der Wunsch nach Anerkennung ist unabhängig von der Anzahl der Dinge. Sich anerkannt und zugehörig fühlen und die eigene Individualität trotzdem leben können – das macht sich nicht an der Anzahl von Dingen fest: Weder an möglichst viel, noch an möglichst wenig. Es hat mit direktem zwischenmenschlichen Kontakt, mit Beziehungsgestaltung zutun und damit, wie wir uns gegenseitig respektieren, anregen und anerkennen. Es geht um das soziale Miteinander und die Art und Weise, wie wir dies gestalten wollen. Insbesondere, wie wir gemeinsam, verantwortlicher leben wollen und welche Alternativen es zu einem ressourcenverschwenden Lebensstil gibt. Damit meine ich nicht „nur“ die materiellen Ressourcen, sondern auch die menschlichen Ressourcen. Denn sich selbst permanent zu überfordern, sich auslaugen im Kampf um Anerkennung oder im Wettbewerb um möglichst viel oder möglichst wenig Dinge – das ist für mich auch eine Form von Verschwendung – Energien und Ressourcen, die wir anderswo viel effektiver und dringender benötigen.
Minimalismus als Vielfältigkeit
Zum Glück gibt es gerade unter Minimalisten schon sehr viele Varianten und Formen, in denen diese Energien konstruktiv genutzt und wo genau dies gelebt wird. Wer einmal die unterschiedlichen Internet-Blogs durchstöbert hat, wer Minimalisten persönlich getroffen und kennengelernt hat, der findet dort auch Vielfältigkeit, Toleranz, Miteinander, sowie endlose praktische Tipps, Anregungen, Hilfsbereitschaft. Meinen herzlichen Dank dafür – möge sich davon MAXIMAL viel unter uns verbreiten.
Ich stimme mit Ihren Gedanken und Hoffnungen, dass Sie auch die minimalistischen Lebensstil genießen, wie ich bin. Minimalismus lehrte uns die Einfachheit Lektion für die Erhöhung unserer Lebens Bedeutung.
Du schreibst: “ Minimalismus ist kein Endzustand. Ich denke, es ist ein Prozess und ein Lebensstil, ein „auf-dem-Weg-Sein“ – immer wieder überprüfen, was ich wirklich benötige, liebe, brauche.“
Besser könnte man es nicht ausdrücken und ich kann auch Tanjas Kommentar nur zustimmen. Ich finde deinen Artikel richtig gut, denn so denke ich auch. Man muss kein schlechtes Gewissen haben, wenn man etwas kauft oder 12 Gabeln und Messer hat. Es geht darum, sich zu fragen, mit was man glücklich wird und das sind nicht die materiellen Dinge, die einem das Leben voll stopfen. Wenn man weniger hat, Dinge, die man wirklich braucht, kann man sich besser auf das konzentrieren, das schätzen, was einem wirklich etwas wert ist.
LG, Ingrid
Hallo Gabi,
schöner Text. Selbst beim Kaffeelöffel muss der „richtige“ Lifestyle her. Haha! Ich traue mich ja niemanden mehr einzuladen. Und welcher nächste Woche? Jede Woche eine neue Welt. Die Mode von heute ist der Krempel von morgen. Und wie gut es sich anfühlt, wenn diese Rotation im eigenen Leben nicht mehr ist, gell.
Ich mochte den Technikkram bisher unterwegs auch nicht. Mit Kind weiß ich seit dieser Woche, dass Sprachnachrichten einfach gut tun, wenn es nicht mehr auf Skiern sondern auf Krücken unterwegs ist. Was ich aber nie verstehen werde, warum man bei Outdoor Touren vernetzt und verkabelt ist. Ich persönlich wollte da immer meine Ruhe haben.
Mit den Ressourcen hast du auch recht. Die „normalen“ Menschen in meinem Umfeld – ich hab mal gefragt – wechseln nicht ständig den Stromanbieter. Ich tue es auch nicht mehr. Der Aufwand ist uns zu groß. Ich schaue lieber nach meinen eigenen Ressourcen. Ich will auch noch Freizeit haben und nicht nur die Welt retten (mit mäßigen Ergebnissen). Mein Lebensstil ist also nicht so sehr nachhaltig. Durch das weniger Konsumieren trage ich aber automatisch bei.
Liebe Grüße und einen schönen Sonntag für dich – Tanja