Loslassen

Loslassen und Achtsamkeit

Mich verwundern ja ab und an schon die ein oder anderen SocialMedia-Aktiven, die mit (z.T. gesponserter) Achtsamkeits-App begeistert erzählen, wie entspannend das mit der Achtsamkeit so ist. Manchmal umrahmt von schöner Atmosphäre, seichtem Licht und schickem, minimalistischen Design. Beeindruckend, aber nicht ernsthaft die Realität, eher ein schöner und letztlich vorübergehender Zustand, vielleicht auch eine Illusion, die es loszulassen gilt.

Achtsamkeit ist keine reine Entspannungsübung, schon gar nicht ein mentaler Weichspüler, sondern ein Weg der möglichst vorurteilsfreien Wahrnehmung von dem, was gerade im jeweiligen Moment geschieht. Vielleicht bohrt jemand gerade in der Nachbarwohnung, die Ereignisse des Tages geistern wild durch den Kopf oder irgendetwas zickt und zwickt. Auch so etwas gilt es zunächst einmal möglichst neutral wahrzunehmen und  – nach einer solchen Achtsamkeitspause – zu überlegen, was man nun mit diesen Wahrnehmungen macht oder auch nicht. Genau eine solche Pause ist für mich das Geheimnis der Achtsamkeit.

Achtsamkeits-Ideale loslassen

Loslassen hieß für mich in der Achtsamkeitspraxis aber auch, Meditationsstandards und damit verbundene Ideale loszulassen. Längere Sitzmeditationen gehen mit meinem unvollständigen 5. Lendenwirbelbogen nicht, ohne dass es irgendwann zu einem unerträglichen Zustand wird. Also lasse ich es. Kürzere, über den Tag verteilte Einheiten von 5 bis maximal 10 Minuten sind für mich viel passender. Gehmeditation und achtsames Gehen ist eine Wohltat und zu einem wesentlichen Element geworden. Ich nutze dies regelmäßig und sehr gerne.

Es muss nicht immer Achtsamkeit sein

Übrigens müssen es nicht immer nur Achtsamkeitsübungen sein. Nicht jede/m liegt das. Es gibt viele Wege. Einfach mal für eine gewisse Zeit die ganzen Ablenkungen von Smartphone und Co. abschalten. Dann ein langer Spaziergang, eine Fahrradtour oder auf dem Sofa einfach mal „Löcher in die Luft starren,“ eine Tasse Kaffee oder Tee ablenkungsfrei genießen – es gibt viele Möglichkeiten, sich im Alltag immer wieder zu erden. Es geht letztlich nur darum, nicht ständig auf jede/n und alles zu reagieren, sondern bewusst Pausen einzulegen.

Loslassen im Minimalismus

Loslassen ist ein zentrales Element beim Minimalismus als Lebensstil. Sehr viele Dinge loszulassen gab es bei mir allerdings nie wo wirklich. So viel Kram hatte ich auch früher nicht.

Unpassende Wunschträume loslassen, ist eher so ein Thema bei mir. Viele Menschen lieben beispielsweise ihre Küche – ich nicht. Am liebsten würde ich ja oft die ganze Küche loslassen und weg minimalisieren. Meinen kleinen Espressokocher samt dafür nötiger Kochplatte mal ausgenommen 😉 . Selbst mit wenig Ausstattung befindet sich in der Küche der meiste Kram. Der Kram steht rum, muss gespült oder aufgeräumt werden. So etwas gefällt mir überhaupt nicht. Kochen war ernsthaft noch nie meine Leidenschaft. Da ich mit Allergien und Unverträglichkeiten zutun habe, geht es aber definitiv nicht ohne eigene Küche. Also bleibt immerhin die spannende Herausforderung, was in der Küche sein muss oder eben nicht.

Loslassen macht freier im Kopf

Loslassen von überflüssigen Dingen ist befreiend. Ich muss damit aber niemanden beeindrucken, nicht mal mich selbst. Bei mir ist es so, dass ich einfacher und entspannter leben möchte. Wer viele Dinge hat, muss beispielsweise viel aufräumen und aufräumen war definitiv noch nie mein Hobby.

Ich beobachte eher, dass diejenigen Menschen, die längerfristig minimalistisch leben, in einigen Bereichen einfach sehr viel lockerer geworden sind. Es muss eben nicht mehr unbedingt das edle Möbelstück, das schicke Designerkleid, das neueste Smartphone sein. Kein vorweihnachtlicher Stress mit irgendwelchen langen Lieferzeiten – lieber Zeit, als Zeug. Nicht einmal jede neueste Wasserstandsmeldung und Meinungskundgebung in den Medien ist so wichtig, sich davon permanent vereinnahmen zu lassen.

Es ist diese Freiheit im Kopf, die ganz individuellen Wege und manchmal unkonventionellen Lösungen, die dabei entstehen und die finde ich definitiv sehr viel spannender.

 

Foto: © Jacob Owens, Unsplash

 

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22 thoughts on “Loslassen

  1. Schwierig finde ich beim Loslassen den Schritt davor. Man muss da erstmal für sich rausfinden, was man loslassen will. Was genau ist denn jetzt überflüssig? Manchmal dauert es, bei mir zumindestens. Manche Sachen in der Küche wollte ich vor einem Jahr noch behalten, heute kann ich sie loslassen. Dieses elendige Raclettgerät – seit Jahren nicht benutzt. Endlich ist es weg. Das tut gut.

    1. Ja genau. Die Zeit bringt es. Manches dauert einfach und man muss öfter mal durchschauen. Kram, der nervt, den man nicht mag – zuerst. Wenn die Dinge genutzt werden oder sie eine besondere Bedeutung haben, macht es eh Sinn, man behält sie.

  2. Ich habe mir flüchtig einige Internetseiten angesehen, die sich mit Achtsamkeit befassen. Auf etlichen dieser Seiten scheint es vorrangig um Vermarktung und Likes und somit Werbeeinnahmen zu gehen. Für mich ist Achtsamkeit etwas Anderes: Die Gedanken sind völlig ruhig und alle Sinne sind auf die Wahrnehmung von Eindrücken gerichtet. Kein Denken, nur Wahrnehmen. Und das kann in dreißig Sekunden beim Warten auf den Bus stattfinden. So etwas alltägliches und gewöhnliches wie eine 30 s Achtsamkeitsübung beim Warten auf den Bus kann man allerdings schlecht vermarkten.
    Meine Lieblingsübung um Körper und Geist zu beruhigen ist eine Konzentrationsübung bei der die gesamte Aufmerksamkeit auf eine einfache, alltägliche Tätigkeit fokussiert wird. Ich nehme dazu meist das Abwaschen von Geschirr. Das heißt meine Gedanken, meine Wahrnehmung und jeder Handgriff sind auf den Abwasch konzentriert. Das sind die Momente in denen es keine Zeit mehr gibt. Abwaschen ist eine einfache Tätigkeit, aber ich glaube große Kunstwerke werden genau auf diese Weise geschaffen. Durch die vollkommene Hingabe und Konzentration auf das Werk.

    1. Die Achtsamkeit im Alltag, die du beschreibst, mit der kann ich persönlich auch sehr viel anfangen. Letztlich ist es ja der Alltag auf den es ankommt, nicht nur auf irgendeine halbe Stunde am Tag…

      Mich stört genau genommen nicht einmal ernsthaft, dass einige Leute mit Achtsamkeit Geld verdienen wollen, es gerät aber an der Stelle oft mal ins Oberflächliche. Nicht all diejenigen, die Achtsamkeit vermarkten, haben ernsthaft tiefergehende Erfahrungen damit. Und genau an der Stelle finde ich es komplett daneben.

      Ich kann mit den Ritualen der klass. buddhistischen Klöster ja so gar nichts anfangen, aber die Tatsache, dass diese keinerlei Einnahmen mit ihrer Meditation und Angeboten für sog. Laien einnehmen, sondern grundsätzlich auf Spendenbasis arbeiten, bekommt so allmählich für mich nochmal eine ganz andere Bedeutung. Man stelle sich (mal rein hypothetisch) vor, man bekäme keinen Lohn für seine Arbeit, sondern sei auf Spenden angewiesen, die man dann bekommt oder eben nicht… 😲

  3. Wohltuend dieser ruhige Artikel, herzlichen Dank. Ja, Achtsamkeit ist so trendig, schon fast abgedroschen. Vergegenwärtigen – ist da viel rarer, doch treffender. Auf YouTube vom Tibetischen Zentrum Hamburg höre ich praktisch täglich Meditationen. Das ist nicht bloss dasitzen und Löcher in die Luft schauen, nein, die verschiedenen Methoden sich, die Gedanken und Emotionen anzuschauen, bewusst zu werden und zu lernen, dass wir nicht diese Gedanken und Emotionen sind. Buddhismus schon nur als Geistesschulung, noch nicht einmal als Dharma, ist sehr hilfreich, beruhigend und beglückend – und das wünsche ich Euch allen. Herzliche Grüsse aus dem Appenzellerland

    1. Die erwähnten Live-Meditationen sind tatsächlich nochmal ein ganz anderer Zugang (als irgendwelche Meditations-Apps), da jeweils in dem Moment tatsächlich eine reale Person eine Meditation anleitet. Das ist dann schon mal sehr viel näher dran am realen Leben.

  4. Zum Thema Achtsamkeit fällt mir ein, das ich hauptsächlich den Fokus auf mein inneres Gespür lege, zB ob ich mich in einer Situation oder mit einem Umstand behaglich fühle oder nicht. Das ist dann immer ein guter Gradmesser ob etwas stimmig ist oder nicht. Schwieriger wird es dann mehr in die Tiefe zu gehen und weiter zu forschen. Auch kann ich mich mit Achtsamkeit mehr erden oder zumindest wahrnehmen wo ich mich gerade befinde. Wie dann meine Entscheidung aussieht kommt später. Eine entscheidende Wende bewirkte Früher einmal die Beobachtung das auch andere Erwachsene ihre Probleme,ihre Schwächen hatten. Das half mir mich selber besser anzunehmen. Loslassen ist noch immer in einigen Bereichen schwierig. Loslassen vom Kindsein,loslassen von alten Werten und Gewohnheiten, von Ersatzbefriedigung durch Konsum. Ein stetiger Entwicklungsprozess.

    1. Der stetige Entwicklungsprozess: Ja, sehe ich auch so. Mit der Achtsamkeit ist es ebenso wie mit dem Minimalismus und dem Loslassen von dem, was nicht mehr ins eigene Leben passt: Das ist nichts, womit man irgendwann fertig wird. Das ist eher eine Lebenshaltung.

  5. „Achtsamkeit“ ist ein Modewort geworden, in dem sich alles & nix verstecken kann. Mir geht es da wie den Indern mit Yoga, die sich wundern, wenn ein Europäer sagt, er macht am Mo & Do eine Stunde Yoga. Yoga ist eigentlich keine Sportpraxis sondern ein Lebensweg.
    Sehe ich mit Achtsamkeit ähnlich. Das sollte nichts sein, was man beim Zazen 1/2h lang praktiziert, sondern ein Bewusstseinszustand, den man versucht, so oft wie möglich einzunehmen. Es geht nur mit ständiger Übung. (So wie es geht, den eigenen Geist darauf zu trainieren, ohne Wecker pünktlich aufzuwachen, kann man sich auch „Wecker“ für bestimmte Tageszeiten stellen, wenn der stressige Alltag „Achtsamkeit“ nicht zulässt. Fünf Sekunden bei sich sein, bringt einen dann wieder auf die richtige Spur.

    1. Ja, leider sind solche Begriffe wie Achtsamkeit und Yoga schon sehr einfach in die Landschaft hingesagt. Selbst mit Minimalismus ist das so. Oft ist das, was als Minimalismus bezeichnet wird, nichts anderes, als ausmisten und entrümpeln. Dabei ist genau das ja nur der Anfang…

      Die Zeit unterscheidet meistens die Spreu vom Weizen. Kann man hier schön sehen – eine Minimalismus-Bloggerliste von 2016, nur die wenigstens Blogs gibts heute noch: https://minimalismus-tipps.de/minimalismus-blogger-alphabetische-liste/
      Zur Info: Ich habe diese Seite ca. 2 Jahre lang betrieben, sie dann aber an Mirko Schubert abgegeben. Nach dem Wechsel kam kaum noch etwas Neues, so dass es inzwischen fast eine kleine Zeitreise ist.

  6. Liebe Gabi,
    deine Artikel sind eine echte Wohltat im Vergleich zu alle den ganzen „hippen“ Menschen, die podcasts über Minimalismus und Loslassen produzieren. Seitdem diese beiden Themen urplötzlich in Mode gekommen sind, schießen diese Menschen wie Pilze aus der Erde. Du bzw. deine Artikel bist/sind im Gegensatz zu den „Hippen“ herrlich normal und bodenständig und ich nehme es dir sofort ab, das es deine echte Überzeugung ist.
    Daher lese ich deine Artikel schrecklich gerne. Weiter so ;-)!
    Liebe Grüße und bleib bitte gesund, Doro

    1. Liebe Doro, alles andere als echte Überzeugungen ist mir schlichtweg zu anstrengend. Minimalismus ist ja immer auch ein Suchen nach dem, was ins eigene Leben am besten passt. Bei all den Ablenkbarkeiten, die es so gibt, ist das gar nicht immer so einfach. Und das eigene Leben ist im Gegensatz zu irgendeinem gehypten Lifestyle ja letztendlich etwas ziemlich normales.
      Dir ebf. gute Gesundheit – ist in der Tat etwas Wichtiges.

  7. Gut geschrieben, loslassen ist das was ich mit Achtsamkeit verbinde, loslassen von Gedankenkreisen, loslassen von stressigen Nachrichten, loslassen von Verpflichtungen (zumindest für eine kurze Weile) usw. kurz gesagt, sich wieder sammeln und dann mit neuer Kraft wieder weiter machen. Meditation im klassischen oder auch Achtsamkeitsübungen die gerne gehypt werden, komme ich nicht mit klar, es stresst mich dann weil ich nicht die Ruhe hinbekomme die da ja bei rumkommen soll. Nee ich hab für mich meine eigene Achtsamkeit gefunden und die besteht aus ganz schlichten Dingen wie z.B. Tee trinken, oder aus dem Fenster schauen, oder meine 7 min. Gymnastik abends, einfach ganz ruhig und entspannt nur für mich sein. Habe aber lange gebraucht um auch wirklich ganz ruhig dabei zu werden, zu Anfang war bei mir immer gleich der Gedanke da, dass ich ja noch so viel zu tun hab und ich doch jetzt nicht so faul rum sitzen kann.
    Wünsche dir noch einen schönen Abend, liebe Grüße!

    1. Hallo Aurelia, es gibt wirklich so viele Möglichkeiten, sich Zeit für sich selbst zu nehmen, mal alles etwas gemächlicher und langsamer zu machen, es wäre wirklich unsinnig, diese Vielfalt nicht zu nutzen. Ich halte überhaupt nichts davon, wenn nun alle Leute das gleiche machen würden. Das funktioniert eh nicht.
      Bloggergrüße in den hohen Norden!

  8. Mit zunehmendem Alter orientiere ich mich beim Loslassen an meiner Mutter und Großmutter. Die waren beide sehr genügsam und sparsam. Durch 3maliges ausgebombt werden im 2. Weltkrieg hatten sie auf die harte Tour gelernt, ihr Herz nicht an Dinge zu hängen.
    Ich selbst habe in den letzten Jahren sehr viel materiellen Ballast abgeworfen und diese spannende Reise geht immer noch weiter. Immer wenn ich beispielsweise einen länger nicht genutzten Küchengegenstand in der Hand habe, frage ich mich, ob meine Oma so etwas auch benötigt hätte. Auf diese Weise durfte schon vieles gehen, ohne dass ich es hinterher vermisst hätte.

    1. Hallo Barbara, du hattest da wirklich eine sehr kluge Oma. Das ist ja üblicherweise eine Generation, die besonders an Dingen hängt, daher um so beeindruckender.

  9. Also kochen finde ich eigentlich noch gut, aber diese Aufräumerei in der Küche macht echt keinen Spaß. Meinem Freund leider auch nicht, also wechseln wir uns ab oder machen es zusammen. Und die Töpfe kann und will ich nicht in die Spülmaschine packen. Also spülen. – Fertigessen ist aber auch keine Lösung

    1. Fertigessen – nein, bei mir auch nicht. Viel zu viele Zusatzstoffe, zu viel Chemie, zu viel Allergiepotential. Wenn es keine Ideallösung gibt, muss man einfach nach dem geringsten Übel schauen.

      1. Es meist auch teurer. Die Zusatzstoffe, die Plastikverpackung, der Transport durch Europa, die Angestellten in den Fabriken, die Versuchsküchen, die Werbung, die Labore, die Gebäude, Heizung, Kühlung, Manager und Maschinen, das alles muss zusätzlich bezahlt werden. Und das stellt mal dem regional erzeugten Produkt gegenüber. Besser selber und simpler kochen.

        1. Also auch wenn ich wirklich keine Lust auf den Küchenkram habe: Da habe ich lieber ein paar Teile mehr in der Küche, als so ein unsinniges Fertigzeug. Das ist für mich auch Minimalismus in der Küche: 1. besser, 2. einfacher. Es müssen in der Tat ja auch nicht immer irgendwelche aufwändigen 3-Gänge-Menüs mit tausenderlei exotischen Gewürzen sein.

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