Minimalismus und Älterwerden

Minimalismus wird häufig mit der jüngeren Generation verbunden. Diejenigen, die in der Regel mit viel Konsum aufgewachsen sind, diejenigen, die vielleicht gerade studieren oder am Anfang ihres Berufslebens stehen. Bei mir ist dies nicht der Fall. Mich treibt ein ganz anderes Thema um: Minimalismus und Älterwerden.

Wer in den 60er und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts aufgewachsen ist, kennt eine aufstrebende Wirtschaft, trotzdem war der Konsum aber noch nicht so ausgeprägt wie heute. Und man hatte in der Regel mit einer meistens kriegstraumatisierten Erwachsenengeneration zu tun. Diese wollten die Erinnerungen an Todesängste, Armut und Entbehrung hinter sich lassen, versuchten sich materiell entsprechend einzurichten und abzupolstern. Wer als junger Mensch dagegen aufbegehrte, bekam schnell mal ein gleichermaßen drohend-flehendes, wie mitunter sehnsüchtiges „Sowas hätte es früher unter H… nicht gegeben…“ um die Ohren gefegt.

Mir reichte eine(!) Markenjeans, um mich als Teenie „in“ zu fühlen und mich von solchen Kram- und Denk-Welten abzugrenzen. Klamottenberge, Social-Media-Druck und das neueste Smartphone brauchte ich glücklicherweise nicht – da hatte ich es noch sehr komfortabel. All die damaligen, riesigen Eichenschrankwände, die dicken Sofagarnituren, all den Plüsch und Krimskrams um mich herum, empfand ich aber sehr einengend und irgendwie überflüssig.

 

Mit was ich mich nicht belasten will

Was ich damals und auch in den folgenden Jahrzehnten immer wieder bemerkte war das, womit ich mich nicht belastend wollte. Immer wieder sah ich, wie Besitztümer gerade beim Älterwerden belasten können. Die große Schrankwand, das Bett, die Sofagarnitur oder die ehemals teure Küche passen nicht in eine kleinere Wohnung, also die große Wohnung behalten – und so saß dann irgendwann ein älter gewordener Mensch alleine in irgendwelchen oberen Stockwerken in einer großen Wohnung, die früher einmal für die ganze Familie gereicht hat. Oder das Einfamilienhaus ist doch abbezahlt, daher will man drin wohnen, aber dieses Haus ist zu groß geworden, die Treppen werden nicht mehr so einfach überwunden, die Gartenarbeit belastet und die dicken Teppiche und Läufer sind zu Stolperfallen geworden.

Ich erinnere mich an Menschen, die das persönliche Älterwerden wohl immer wieder verdrängt haben, die an alten Gewohnheiten festhielten, diese Gewohnheiten aber irgendwann nicht mehr bewältigen konnten. Und so fand deren Leben irgendwann nur noch zwischen Balkongeranien, Fernsehapparat, tausenderlei angesammeltem Krimskrams und mitunter auch dem Tratsch über die Nachbarschaft statt.

 

Minimalismus und Älterwerden – Klarheiten schaffen!

Älterwerden ist nichts, was von jetzt auf gleich passiert. Minimalismus und Älterwerden bedeutet, den Mut zu haben, sich darüber Klarheit zu verschaffen, welche Besitztümer dienlich und welche hinderlich sind. Frühzeitig Fakten schaffen gehört dazu. Mir war klar, dass ich nicht irgendwann mal als Rentnerin bis ins Dachgeschoss klettern will. Umzüge werden mit jedem dazu kommenden Lebensjahr definitiv nicht einfacher. Wer erst einmal über 70 Jahre ist, zieht meistens nicht mehr um. Daher habe ich dies bereits mit 57 Jahren erledigt und bin froh darüber. Ich möchte mich bewegen, will kein Auto besitzen und mag es, wenn ich unkompliziert die Alltagsdinge erledigen kann.

 

Älterwerden hat auch Vorteile

Meine Zeit ist mir zu schade, als dass ich sie mit dem Horten von überflüssigem Kram verwenden möchte. Älterwerden hat nämlich auch Vorteile, die möchte ich frühzeitig und schon jetzt genießen. Innerlich fühle ich mich beispielsweise heute viel freier als früher. Ich muss mir oder anderen nicht irgendetwas Großartiges beweisen. Ich mache viel mehr „mein Ding.“ Weder muss ich mit irgendwelchen Moden und Trends mithalten, noch muss ich in meinem angesammelten Kram hinter den Balkongeranien versauern.

 

Minimalismus und Älterwerden – auf neue Lebensabschnitte einzulassen

Leben heißt, sich zu bewegen und sich in jeder Lebensphase neu zu fragen, welche alten Zöpfe es abzuschneiden gilt, was losgelassen werden kann. Minimalismus und Älterwerden passt prima zusammen, denn es hilft, den Blick auf das Wesentliche zu schärfen, sich unbelasteter auf neue Lebenseinschnitte einzulassen und diese dann auch genießen zu können.

Photo by Samuel Scrimshaw on Unsplash

 

12 thoughts on “Minimalismus und Älterwerden

  1. Hallo Gabi,
    das hast du gut auf den Punkt gebracht. Ich bin selbst auch froh, dass ich noch nie irgendwas hinterher gehechelt bin und was mich jetzt erdrücken würde, weil ich nicht mehr ganz so wuselig bin wie mit 20 oder 30. Nö jetzt mit 50 mag ich es noch mehr, dass ich so gut wie alles ziemlich flexibel habe in der Wohnung und es auch alles noch selber hin und her rücken kann, wenn mir danach ist 🙂 und in die zweite Etage klettern wird dann auch später noch gehen. Dritte oder mehr Etagen wäre mir jetzt schon zu viel, da macht sich das Asthma dann doch bemerkbar. Nee ist schon gut so, wenn man sich nicht in die Fußstapfen der Ende 60er Anfang 70er Elterngeneration hat rein drängen lassen. Ich hab mich da auch immer gegen gewehrt, weil es mir zu erdrückend war, den ganzen Ballast um mich zu horten so wie es meine Eltern gemacht haben.
    Außerdem, wenn man die Fallhöhe reduziert, können einem Rückschläge was die finanzielle Sicherheit angeht nicht ganz so schnell aus der Bahn werfen, vergessen ja auch viele, dass Krankheit oder Arbeitslosigkeit schnell mal um die Ecke kommen kann.

    Lg Aurelia

      1. Danke für den Artikel und für’s Wachrütteln! Eine minimalistische Lebensweise als Hilfe in Krankheit und Alter ist genau mein Thema. Natürlich nicht nur von der rein organisatorischen Seite, wichtig ist ja vor allem auch, in den Gedanken und Bedürfnissen so klar zu werden, dass die Lebenseinstellung trotz großer materieller Einschränkungen zu einem zufriedenen und erfüllten Leben führt. Leicht wird das nicht, nicht umsonst wird oft gesagt, dass Armut Minimalismus ausschließt. Aber es sollte ein ganzes Stück weit helfen. Wie der Blitz getroffen hat mich Daniels Video über die Fallhöhe. Da habe ich noch sehr, sehr viel umzustrukturieren. Erste Anfänge sind getan. Um mal ein Beispiel zu nennen: ich habe endlich die Unfallversicherung gekündigt, da ich nicht mehr reite – und muss noch bis Ende nächsten Jahres zahlen! Innerlich bin ich sehr unruhig, weil alles so langsam voran geht und vor allem die Wohnungssuche so schwierig ist. Auch das Unverständnis im Familien- und Freundeskreis macht mir manchmal zu schaffen. Da geht es überall nur mit Vollgas weiter, obwohl alle auch über fünfzig… So und heute noch werde ich meine To-Do-Liste um einige Punkte erweitern.

        1. Hallo Petra,
          ich denke, dass sich Minimalismus und Armut nicht unbedingt gegenseitig ausschließen, sondern dass das eine nicht mit dem anderen gleichgesetzt oder verwechselt werden sollte.
          Ich finde, es macht immer Sinn, sich über solche Themen wie die oben erwähnte Fallhöhe Gedanken zu machen, selbst wenn die persönliche Umsetzung ein wenig dauert. Wenn so etwas wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit passiert, hat man eh schon genug am Hals. Es ist blöd, dann auch noch für alle möglichen Verträge und Abos Geld zu bezahlen und dadurch Probleme mit der Finanzierung von Strom, Miete oder Lebensmittelkauf zu haben.
          Ich persönlich denke, dass gerade dann, wenn wenig Geld da ist, dieses möglichst optimal genutzt werden sollte. Dies gelingt durch Minimalismus natürlich viel besser, weil mit ein wenig Übung, die wirklichen Bedürfnisse dann doch besser von überflüssigen Spontanwünschen und Fehlkäufen unterschieden werden können.

        2. Ja, genau so geht es mir auch. Zum Beispiel die Sache mit der Wohnung : Wir sind vor 7 Jahren vom Erdgeschoss (72 qm) nach nebenan ins 2. Obergeschoss (95 qm) gezogen, weil die untere Wohnung an einer stark befahrenen Strasse lag und wir es etwas ruhiger haben wollten ( das Haus mit der größeren Whg. liegt etwas zurück) . Es hat sich für meinen Mann und mich aber mittlerweile herausgestellt das uns die Wohnung zu groß ist. Nun suchen wir schon seit einiger Zeit eine Erdgeschosswohnung die wieder deutlich kleiner ist. Leider haben wir festgestellt das es sehr schwierig ist etwas passendes zu finden (an einer stark befahrenen Straße soll es natürlich möglichst nicht sein ) Wir sind beide mittlerweile 55 Jahre alt und haben nicht vor noch x-mal umziehen. Uns ist es beiden auch wichtig, weiter unsere Möbel bzw. überhaupt unseren Besitz zu reduzieren, denn wir haben keine Kinder, also wer soll sich kümmern wenn wir es nicht mehr können. Aber wenn man Dinge erstmal besitzt, ist es oft schwierig sie wieder loszuwerden. Es ist meiner Ansicht nach besonders wichtig den allgemeinen Konsum einzuschränken, grade auch mit Hinblick auf das Alter. Und mal ehrlich, je älter man wird um so weniger braucht man doch, bei mir ist das jedenfalls schon seit Jahren so zu bemerken.
          Vielen Dank übrigens für die immer interessanten Posts !!!

          1. Hallo Tina, ich finde Eure Situation hat auch geniale Vorteile: Wenn die Wohnungssuche eh noch dauert, kann man die Zeit prima nutzen. Denn wenn ihr erstmal euren allgemeinen Konsum reduziert, weglasst, was ihr eh nicht benötigt und schaut, welche Dinge ihr nicht mehr braucht, dann wird im Laufe der Zeit auch deutlicher und klarer, wieviel Platz ihr anschließend wirklich benötigt und wie groß die neue Wohnung dann idealerweise sein sollte. In einer großen Wohnung wie eure derzeitige, kann man auch je nach Zimmeranzahl einen kleinen Test machen: Falls möglich, einfach mal ein Zimmer nicht mehr benutzen oder dort die Dinge lagern, die man noch loswerden will. Dann ist die anschließende Umstellung viel einfacher und man hat dann auch noch Zeit, die Dinge loszuwerden.

      2. Ich verstehe, was gemeint ist, aber ich sehe auch , dass man hier nicht verallgemeinern kann. Daniel hat sich glaube ich irgendwann zu entschieden nicht mehr so viel zu verdienen, da war er jünger als jetzt und so alt ist er glaube ich noch gar nicht. Wenn man immer nur Angst hat die Fallhöhe zu erhöhen und sich Risiken nicht stellt, das ist auch nicht ganz richtig denke ich. Hätte ich mich von der Fallhöhe abschrecken lassen, dann hätte ich nicht geheiratet, keine Kinder, hätte mich nicht selbstständig gemacht und schon gar keine Immobilie gekauft. Das Leben hat auch Risiken und die sind es wert die Fallhöhe zu erhöhen. Ohne Vollzeitwerwerb geht es phasenweise nicht, jedenfalls nicht in der Großststadt.

        1. Hallo Thorsten, verallgemeinern kann man das wirklich nicht. Das sehe ich auch so. Wer Kinder zu versorgen hat, ist natürlich ganz anders gefordert (auch wirtschaftlich), als jemand, der Single ist oder in einer Partnerschaft lebt. Ich denke, es geht weniger darum, sich von der Fallhöhe abschrecken lassen oder sich durch Angst zu blockieren, sondern darum, sich einfach generell einige Gedanken zu machen, um im Bedarfsfall einfach zu wissen, wie man handeln und reagieren kann. Irgendwann sind z.B. die Kinder erwachsen und aus dem Haus oder man braucht, will oder kann auch nicht mehr so arbeiten, wie vorher – was dann?
          Dann hat sich die Arbeitswelt auch stellenweise sehr verändert und manche Menschen (gerade jüngere), wollen nicht mehr alles so hinnehmen. Dazu gibt es den wunderbaren Achtsamkeits-Film „From business to being“ – sehr sehenswert https://achtsame-lebenskunst.de/2017/01/13/filmtipp-from-business-to-being/

          Mir gefällt auch der Satz von Jack Kornfield besonders gut. Ich finde ihn gerade im Bereich von Achtsamkeit und Minimalismus so passend:
          „Like a sandcastle, all is temporary. Build it, tend it, enjoy it. And when the time comes, let it go.“ (Jack Kornfield)

          1. Dazu passt, dass die jüngeren Menschen weniger Wert auf Autos legen und in Folge den Führerschein später machen. Wer kein Auto braucht, kann besser wohnen. Evtl. ist aber Auto plus Wohnung für junge Leute in der Stadt mittlerweile unerschwinglich, da bleibt das Auto auf der Strecke. Autos gehören raus aus den Innenstädten. Nur Handwerker, Lieferdienste, Taxis, ÖPNV und Fahrzeuge für Gehbhinderte dürften fahren. Das wäre ein Traum.

          2. Oh sehr gerne 🙂
            Nicht zuletzt durch die Kommentare hier zu meinem Beitrag wird mir wird mal wieder bewusst, dass Minimalismus so viel mehr ist, als „nur“ seine Wohnung zu entrümpeln und weniger Kram zu besitzen.

  2. Liebe Gabi,
    vielen Dank für diesen wunderschönen Text. Ich werde im Februar 40, d.h. ich komme langsam in das Alter, in dem die Eltern genau so leben, wie Du es beschreibst. Ich sehe es eigentlich bei allen alten oder älteren Menschen, mit denen ich zu tun habe und hatte: es wird in altem Kram gelebt, der überfordert und überwältigt, aber er kann nicht losgelassen werden. Ich selbst lebe das schon jetzt anders. Mich überfordern Dinge sehr schnell. Deswegen will ich wenig um mich haben.

    1. Hallo Steffi, es scheint einen großen blinden Fleck zu geben, wahrzunehmen, wann der Komfort überfordert und zum Ballast wird. Umso besser, wenn dir diese Wahrnehmung schon in jüngeren Jahren gelingt.

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