Luxus aus achtsam-minimalistischer Perspektive
„… Sie definieren Luxus einfach nur anders…“ so oder so ähnlich formulierte die Journalistin Selina Stolze es gestern in einem Interview mit mir für das Dortmunder Lokalradio 91.2. Diese Formulierung bringt es gut auf den Punkt. Luxus definiere ich anders und es ist für mich nicht die Menge an verfügbaren Dingen oder eine hübsch-hohe Zahl auf dem Girokonto. Luxus ist keine Yacht, kein Privat-Jet und aus goldenen Wasserhähnen fließt letztlich auch nur Wasser. Luxus ist für mich etwas anderes:
Zeit
Nachdem ich inzwischen halbtags arbeite, ist – trotz Notwendigkeit einer gewissen zeitlichen Flexibilität – die Zeit mein größter Luxus. Viele Jahre lang war ich wochentags täglich zwischen 11 und 13 Stunden unterwegs, volle Straßen, volle Züge. Ich erinnere mich an zugige Bahnhöfe, ausgefallene Züge, verstopfte Autobahnen und an meine Sehnsucht mich endlich durch den Feierabendverkehr durchgequält und Zuhause anzukommen zu sein. Aber dann musste ich erst noch einkaufen, oft stand noch das Frühstücksgeschirr ungespült in der Küche und das Auto musste zur Inspektion. Irgendwann bemerkte ich, dass ich in meiner Arbeit als Sozialpädagogin auch nicht mehr so richtig bei der Sache war. Es war ein schleichender Prozess. Ich agierte zunehmend nur noch aus meiner beruflichen Erfahrung heraus. Dadurch bekam ich meine Arbeit zwar irgendwie trotzdem noch recht gut hintereinander, aber innerlich war ich längst unzufrieden geworden. Die Arbeitsverdichtung in der sozialen Arbeit tat noch ihr Übriges dazu, dass ich mich nicht mehr wohlfühlte.
Ich bin sehr froh, dass diese Belastungen Vergangenheit sind. Ich gehe zu Fuß zur Arbeit und übe meinen Beruf wieder gerne aus, denn jetzt finde ich den nötigen Ausgleich für mich. Heute gelingt es mir meistens problemlos, nicht ausgerechnet zur Rushhour einkaufen zu müssen. Die Geschäfte sind leerer, weniger hektisch und in der Kassenzone tobt seltener das Chaos. Schon das alleine ist Luxus.
Zeitlichen Luxus genieße ich auch, indem ich mir entweder morgens viel mehr Zeit beim Frühstück lasse oder dann, wenn ich früher von der Arbeit zurückkomme, erst einmal in Ruhe die Füße hochlege.
Was überflüssiger Kram mir nicht bieten kann
Zeit zu haben, ist wertvoll für mich. Kein angesammelter und meistens überflüssiger Krimskrams dieser Welt kann mir diesen Genuss bieten, den ich habe, wenn ich den Wechsel der Jahreszeiten anhand der wunderschönen, uralten Bäume in unserem großen, begrünten Innenhof verfolgen kann. Ich bin wirklich froh und sehr glücklich mit meinen achtsam-minimalistischen Lebensstil. Ich brauche mich um kein Auto mehr kümmern, keine Stehrümchen abstauben, kein überflüssigen Krams in überfüllte Schrank stopfen und kann sehr entspannt auf irgendwelche Statussymbole pfeifen – auch das ist wunderbarer Luxus für mich.
Wer sich für das anfangs erwähnte Radio-Interview interessiert, kann es sich hier noch einmal anhören:
Dortmunder Minimalistin – Nur mit dem Nötigsten leben. Radio 91.2
Der traumhaft schöne, herbstliche Blick von meinem Balkon:
Foto: Vera Dohmann
Der Weg zu einer kleineren Wohnung in der Nähe des Arbeitsplatzes ist bei mir lang… Schaue seit Monaten, aber wenn mal eine Wohnung in Frage kommt, sind Haustiere nicht erlaubt. Die Reduzierung der Arbeitszeit um 5 Stunden kann ich mir schon nicht mehr wegdenken. Am Wochenende hat sich bei der Reduzierung der Möbel bei mir auch nochmal was getan. Ich habe den Couchtisch abgebaut, eine kleine Kommode aus dem Schlafzimmer in den Keller verbannt und wieder einige Bilder von den Wänden genommen. Die Erinnerungen an mein altes Leben sind nicht mehr wichtig, heißt auch, nicht mehr schmerzhaft. Ich habe ein paar Zweige für Weihnachten dekoriert. Das hat großen Spaß gemacht, da ich alles schon aussortiert hatte und nur noch meine absoluten Lieblingsstücke im Karton waren.
Die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist derzeit auch nicht wirklich prickelnd, daher ist es nachvollziehbar, dass es dauert. Aber dein persönlicher Weg zeigt ebfl., wie Minimalismus wirklich aussieht: Es ist ein Weg, ein Prozess, es hat viel mit Selbstbestimmung zu tun und nicht mal so eben mit einer bestimmten Nicht-Menge an Dingen in der Wohnung. Ich drücke dir die Daumen, dass es irgendwann klappt mit deiner Wohnung.
Alle Wohnformen haben Vor-und Nachteile. Größe, Lage, Besitz, Miete,…. vielleicht gibt es zu jedem Lebensabschnitt etwas Passendes. Aber man muss aktiv bleiben, abwägen. Wehe man wird träge und lässt nach. Am besten weniger haben, das Jahr, das ich jetzt ausgemistet habe, hat viel geholfen.
So habe ich jetzt zwei mannshohe Regale entsorgt . So in Kiefernoptik mit Rückwand und riesigem Fernsehfach. Die Hälfte einer ehemaligen Schrankwand. Nach ca. 18 Jahren war jetzt Schluss. Dort steht jetzt nur noch ein halbhohes Sideboard vom Schweden mit 8 Fächern, was wir aus dem Schlafzimmer genommen haben.Damit man dort noch was abstellen kann, wurde ausnahmsweise ein gleichartiges Regal in halber Größe gekauft. Mit vier Fächern. Das nimnt jetzt nur noch die halbe Fläche weg. Win- Win für beide Räume. Wir haben dabei wieder sortiert und aussortiert. Auch endlich bei den Weihnachtssachen. Ziel ist es, dass das, was zusammengehört auch zusammenliegt, die Wege zu den übersichtlich vielen Dingen kurz bleiben und man am Ende genau weiß, wo was ist. Es wird immer besser, viel ist geschafft. Jedes überflüssige Teil das geht, macht es einfacher.
In der Tat verläuft Leben ja nie statisch. Letztlich gibt es immer wieder ganz unterschiedliche Lebensphasen und damit kann sich natürlich auch der Bedarf ans Wohnen ändern.
Glückwunsch zu euren Veränderungsprozessen! Genau solche befreienden Prozesse machen den Minimalismus so spannend. Dagegen finde ich irgendwelche 100-Teile-Zählereien doch ziemlich öde. Aber die Auseinandersetzung damit, was noch ins gegenwärtige Leben passt und diese Erleichterung und Befreiung, wenn man wieder einen guten Schritt weitergekommen ist – das ist doch etwas Wunderbares.
Ja und es gibt immer wieder Überraschungen 😉
Etwas zu können und nicht zu müssen ist toll. Und sich bei der Entscheidung Zeit lassen zu können, weil der Zeitdruck nicht mehr so hoch ist. Luxus bei der Qualität des Essens (Bio, Regional) und nicht beim Anschaffungspreis von totem Dekokrempel.
Sich bei Entscheidungen Zeit lassen – würde ich das nicht machen, hätte ich in meiner Küche schon endlos Geld versenkt, ohne ernsthaft zufrieden zu sein.
Moin, Gabi,
der Luxus ist, selbstgewählte Aufgaben zu haben. Selbstbestimmung. Sich um nix Überflüssiges kümmern zu müssen. Zur Miete zu leben. Das lese ich raus und empfinde es genauso!
Lg, Tanja
Ich gönne jede/m sein/ihr Haus, bin aber wirklich froh, dass ich sowas nicht an den Hacken habe 😉