Minimalismus – 10 Fragen an: Christof

Minimalismus – 10 Fragen an… ist eine kleine Reihe, in der  (in unregelmäßigen Abständen) Leser/-innen meines Blogs zu Wort kommen, um die Vielfältigkeit des minimalischen Lebensstil deutlich werden zu lassen.

Heute: Christof Herrmann

Portrait Christof Hermann beim Wandern bei blauem Himmel und Feld im Hintergrund

 

1. Wie ist deine jetzige Wohn- bzw. Lebenssituation?

Ich lebe in Nürnberg, bin kürzlich von einer geräumigen 1-Zimmer-Wohnung in ein schnuckeliges 3-Zimmer-Häuschen umgezogen und besitzt nur Gegenstände, die ich (ge)brauche. Okay, auch noch ein bisschen Deko, ein paar Pflanzen und Bildern, weil ich es lieber wohnlich als karg habe. Ich hatte mal einen Beruf als Informatiker, seit sieben Jahren folge ich meiner Berufung und schreibe über Minimalismus, Nachhaltigkeit, vegane Ernährung und Wandern.

2. Warum hast du mit dem Minimalisieren angefangen?

Vor 15 Jahren hatte ich ein Leben, wie es viele führen. Nine-to-five-Job, Pendeln, Überstunden. Viel zu viel Kram, viel zu wenig Zeit. Kaum Bewegung, hanebüchene Ernährung, Übergewicht. Ich war müde, ausgelaugt, unzufrieden. Ich hechelte im Hamsterrad meinem ganz persönlichen Burnout entgegen. Zum Glück fand ich den Mut, all das hinzuschmeißen. Ich kündigte den Job, die Wohnung, die meisten Versicherungen – und ging auf Radweltreise. 20 000 Kilometer und eineinhalb Jahre Freiheit. Alles, was ich zum Leben und Glücklichsein brauchte, passte in fünf Fahrradtaschen. Nach meiner Rückkehr wusste ich, das ich nicht in meine alte vollgestopfte Vergangenheit zurück möchte. Wie auf dem Fahrrad wollte ich auch zuhause einfacher und bewusster leben.

3. Was denken andere Menschen (Familie, Freunde, Nachbarn, …) über dein Loslassen von Dingen?

Es gab Menschen im meinem Umfeld, die das von Anfang an unterstützt haben. Andere haben es belächelt. Und ein paar sogar sabotiert. Wer minimalistisch und nachhaltig und dann noch vegan lebt, stellt sich ins Abseits. Ich habe Freunde und Bekannte verloren, andere, die ähnlich denken, gewonnen. Mittlerweile hat sich mein komplettes Umfeld an meinen Lebensstil gewöhnt. Oder sie eifern mir nach. Denn wer genau hinschaut, weiß, warum ich seit ein paar Jahren mehr Zeit habe und zufriedener bin. Weil ich mich vom Ballast – nicht nur dem dinglichen – getrennt habe.

4. Am leichtesten ist mir gefallen …

… Dinge zu verschenken und zu spenden. Das beschleunigt den Prozess des Loslassens und spart viel Zeit. Da ich für all den Kram eh nichts Neues kaufen will, verzichte ich gerne auf das Geld. Wichtig ist mit, dass die Sachen jemand bekommt, der damit noch etwas anfangen kann und sich darüber freut.

5. Am schwersten fand ich …

… beim Ausmisten den Sekretär. Der wog weit mehr als 100 Kilogramm.

6. Auf keinen Fall würde ich noch mal …

… im Konsumpf versinken wollen. Da ist mir meine Zeit zu schade. Wer ist noch nicht verinnerlicht hat: Das Leben verkürzt sich jede Sekunde um eine Sekunde.

7. In jedem Fall würde ich noch mal …

… meine Leidenschaft fürs Wandern entdecken wollen. Besonders das Fernwandern und Alpenüberquerungen sind für mich Minimalismus in Reinform und die beste Gelegenheit, die Vorzüge des Minimalismus kennen und schätzen zu lernen. Gehen, essen, trinken, sich und seine Klamotten waschen, schlafen, vielleicht noch ein wenig kommunizieren und viel staunen, mehr habe ich auf einer Fernwanderung nicht zu tun. Und trotzdem fühle ich mich so frei, beschenkt und zufrieden wie sonst kaum.

8. Welches praktische Vorgehen hat sich bei dir bewährt?

Ich habe mir angewöhnt, mir selbst ein paar Fragen zu beantworten, bevor ich etwas kaufe, etwas zusage, mich verabrede oder auch ein negativer Gedanke meinen Kopf belagert. Brauche und gebrauche ich diesen Gegenstand wirklich? Kann ich diese Aufgabe noch freudvoll auf mich nehmen oder habe ich bereits ausreichend zu tun? Möchte ich mich mit dieser Person gerade verabreden? Warum taucht dieser negative Gedanke auf und was kann ich jetzt tun, damit ich das Problem dahinter angehe? Mittlerweile ist mir dieses „Inmichhineinhörens“ so zur Gewohnheit geworden, dass ich meist nur paar Augenblicke dafür brauche. Natürlich gelingt mir das nicht immer. Manchmal gehe ich eine Verpflichtung ein, um jemanden einen Gefallen oder eine Freude zu tun. Aber ich habe den Ballast in meinem Leben dadurch sehr reduziert. 

9. Welche Vorteile hat es für dich, weniger Dinge zu besitzen?

Mehr Platz, mehr Klarheit, mehr Zeit, mehr Geld, mehr Freiheit, mehr Zufriedenheit.

10. Gibt es noch etwas, was du mitteilen willst?

Mein Ratgeber „Das Minimalismus-Projekt – 52 praktische Ideen für weniger Haben und mehr Sein“ ist kürzlich als Buch und E-Book bei Gräfe und Unzer erschienen. Ich will damit ganz sicher nicht berühmt oder reicht werden. Ich bekomme als Autor eh nur rund einen Euro pro verkauftes Exemplar. Es geht mir vielmehr darum, Minimalismus auf praktische Weise vielen Menschen näher zu bringen. Denn ich bin mir sicher, dass wir unseren angeschlagenen Planeten bzw. uns selbst nur dann noch retten können, wenn wir wieder zu einem Maß zurückkehren, das für Mensch, Tier und Umwelt verträglich ist.

 

Arbeitszimmer: Blick auf Schreibtisch mit Laptop, Maus, einigen Unterlagen. Im Hintergrund ein Bücherregal
Arbeitszimmer

 

Wohnzimmer: links am Bildrand Esstisch, rechts Sofa, davor ein Sessel und eine Korbtruhe, die als Tisch genutzt wird
Wohnzimmer

 

Schlafzimmer - links unten am Bildrand Bett, rechts Kleiderschrank und Kommode
Schlafzimmer

 


Zum Weiterlesen:

20 thoughts on “Minimalismus – 10 Fragen an: Christof

  1. Hallo Christof,

    sind die auf den Fotos gezeigten Schränke deine sämtlichen Aufbewahrungsmöglichkeiten? Wenn ich lesen Fahrradreise und Fernwanderungen, denke ich an das ganze Equipment, was zumindest bei mir fast den meisten Platz in der Wohnung beansprucht. Zelte, Rucksäcke, Kocher, Fahrradtaschen, Schlafsäcke u.s.w. wollen irgendwo gelagert werden. Wie machst du das?

    Herzliche Grüße

    Sonja

    1. Hallo Sonja,

      Im Wohnzimmer gibts noch ein Sideboard mit paar Schallplatten und Büchern, im Keller eine Handvoll Schachteln und Kisten. Das wars dann schon.

      Radtaschen, Zelt, Isomatte und Kocher besitze ich nichtt mehr, weil ich die letzten Jahre nur Fernwandern mit Übernachtungen in Hütten und anderen Unterkünften war. Meine beiden Rucksäcke liegen in dem Schrank im Schlafzimmer.

      Viele Grüße

      Christof

      1. Hallo Christof,

        danke für deine Antwort. Unterkünfte ersparen natürlich eine Menge Ausrüstung.
        Viel Freude dir weiterhin auf deinen Wanderungen.

        Schöne Grüße

        Sonja

  2. Lieber Christof
    du hast auf deinem Lebensweg eine grosse Wanderung gemacht durch viele Lebensstationen. Ich empfinde, dass du mit dem Leben innerlich sehr zufrieden bist und dass du über deine Zufriedenheit, deine Erfahrungen schriftstellerisch schreibst, bringt andere Menschenwesen dazu, sich die „eine oder andere Frage“ auch zu stellen und die Möglichkeit für jeden selbst, stufenweise aufzuwachen. Vielen Dank für deine Offenheit und Gabi für den „farbigen“ Blog und ALLEN alles Gute auf dem weiteren, abwechslungsreichen Lebensweg.

    1. Ich hab mich getraut mein Leben auf den Kopf zu stellen und möchte andere dazu ermutigen, sich aus zu trauen 🙂

      Dir auch alles Gute, liebe Grüße

      Christof

  3. Lieber Christof,

    faszinierend, dass du deine Berufung lebst! Das finde ich wirklich toll. Sicherlich bist du dann selbstständig oder? Wie gehst du mit der „Unsicherheit“ um, die dadurch entsteht?

    Liebe Grüße!

    1. Komme mit der Unsicherheit, die so eine Selbstständigkeit mit sich bringt, gut zurecht. Ich liebe die dadurch gewonnene Freiheit und mache etwas, was mir Freude bereitet und ich für sinnvoll erachte. Da gehe ich das bisschen Risiko gerne ein. Das Leben ist einfach zu kurz, es zu vergeuden.

      Liebe Grüße

      Christof

    2. Die Unsicherheit und das Risiko lassen sich durch Minimalismus immerhin schon mal deutlich reduzieren. Ausgaben, die nicht da sind, muss man nicht finanzieren. Es gibt dann ja auch noch berufliche Varianten: In manchen Betrieben kann man Sabbaticals ansparen – auch nicht schlecht. Ich hatte diese Möglichkeit nie, habe aber seit einigen Jahren eine 50%-Stelle.

      1. Ich finde den Weg, den Christof geht extrem faszinierend, bin auch schon jahrelang treuer Leser seines Blogs.
        Was mir beim Reduzieren ein wenig Probleme bereitet ist, dass ich in jungen Jahren sehr dumm war, was den Umgang mit Geld angeht und somit einen gewaltigen Schuldenberg aufgebaut habe, den ich ohne Arbeit (oder mit weniger Stunden oder als Selbstständiger) nicht abbauen kann. Privat-Insolvenz geht nicht, da meine Eltern als Bürgen hinterlegt sind und ich sie nicht in finanzielle Schwierigkeiten stürzen möchte.
        Mich würde interessieren, ob ihr dazu auch ein paar Tipps habt?

        PS: ich lebe schon sehr genügsam, aber kann mir nichts zusätzlich auf die Seite sparen, um die Schulden früher zu tilgen, etc. … – also bleibt mir aus meiner Sicht zur Zeit nur die Möglichkeit weiter im Hamsterrad zu verbringen …

        LG
        Klaus

        1. Hallo Klaus,
          ich kann gut nachvollziehen, dass du deine Eltern als Bürgen nicht in Schwierigkeiten bringen willst. Eine Möglichkeit wäre noch, dass du mal bei einem professionellen Schuldnerberater nachfragst. Die haben Möglichkeiten und Ideen, können mit den Gläubigern nochmal verhandeln, vielleicht auch die Raten reduzieren, umschulden oder oder oder. Das nimmt den Druck raus. Adressen u.a. hier: https://www.schuldnerberatungen.org/ . Eine Onlineberatungsstelle der Caritas gibt es auch https://www.caritas.de/hilfeundberatung/onlineberatung/schuldnerberatung/start

        2. Hallo Klaus,

          teile Gabis Meinung und empfehle professionelle Hilfe wie Schuldnerberatungen.

          Kannst mir auch mailen, falls Du denkst, ich kann Dir irgendwie aus Deiner Misere helfen.

          Alles Gute und Liebe

          Christof

  4. Interessant. Authentisch. Ich frage mich bloß, wie Christoph sein Leben finanziert. Andere Minimalisten ziehen in kleinere Wohnungen, er zieht in drei Zimmer ( sei ihm gegönnt), aber die Wohnung kostet sicher mehr als die alte Wohnung ?! Ich gehe davon aus, dass auch etliche der YouTuber, die noch bei Eltern oder in einer WG wohnen bald in größere Wohnungen ziehrn und dann mehr Geld für Wohnen aufwenden müssen. Ich habe vor genau 5 Jahren aufgehört zu arbeiten, aber das Geld geht durch ganz normale und eher sparsame Lebenshaltung weg und muss entsprechend irgendwie reinkommen.

    1. Ich zahle für das Häuschen nicht mehr, sondern sogar weniger als vorher. Da hab ich viel Glück gehabt. Eine höhere Miete hätte ich mir gar nicht leisten können. Ich lebe vom Schreiben, was alles andere als ein Selbstläufer ist (auch wenn ich diesen Weg einfach bewusst gewählt habe ;-)). Ich musste aus der alten 1-Zimmer-Wohnung raus, weil das komplette Haus saniert wird. Nach fünf Jahren wieder auf größerer Fläche zu leben, ist etwas gewöhnungsbedürftig. Ich achte darauf, dass ich keinen neuen Kram ins Haus lasse. Nur paar Möbelstücke und Pflanzen musste ich besorgen. Die Vorteile überwiegen für mich: Arbeiten, Schlafen und Wohnen sind getrennt (war vorher alles zusammen), Gäste können in einem extra Raum schlafen und ich kann das Arbeitszimmer steuerlich geltend machen. Einziger Nachteil bisher: Ich muss mehr kehren und staubsaugen.

      Viele Grüße

      ChristoF

  5. Ich liebe Christofs Blog und habe viele gute Tipps von dort mitgenommen. Sein aktuelles Buch ist ebenfalls zu empfehlen. Seine unaufgeregte Art zu schreiben mag ich sehr. Und die veganen Rezepte, die er auf seinem Blog postet, sind bereits alle nachgekocht und für gut befunden worden. Lieber Christof, liebe alle, ich wünsche Dir/ Euch weiterhin alles Gute. Lieben Gruß Sabrina

    1. Ohh, danke für das viele Lob!

      Hast Du echt alle Rezepte nachgekocht!? Fällt Dir ein Gericht ein, das noch in meiner Sammlung fehlt? Die Rezepte sind zigfach erprobt. Stelle nichts online, von dem ich nicht sicher bin, dass es klappt und schmeckt.

      Dir auch alles Gute, liebe Grüße

      Christof

      1. Ist hier evtl. etwas „off topic“, aber als ich eine zeitlang vegan gelebt habe, habe ich mich tatsächlich auf alles gestürzt, was es an Rezepten gab. 😉 Mir fehlen noch weitere Desserts und herzhafte Hauptgerichte. Ansonsten ist alles da, was es braucht- auch wenn man wieder vegetarisch und/oder einer anderen Ernährungsform lebt.

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