Wertvoll statt reich

Ständig wird eine neue Themen-Sau durchs Online-Dorf getrieben. Derzeit ist es Frugalismus – die extrem sparsame Lebensweise, um möglichst frühzeitig in Rente zu gehen. Ich verstehe grundsätzlich erstmal jeden, der gut verdient und sich überlegt, entsprechende finanzielle Rücklagen anzusammeln. Das macht in einem gewissen Rahmen ja durchaus auch Sinn. Nur warum wird mitunter so ein Hype daraus gemacht? Und: In welche Aktien wird da investiert? Was ist mit Kinderarbeit? Waffen? Ausbeutung von Mensch und Umwelt? Wie schläft man damit, dass man vielleicht gerade Geld mit Ausbeutung verdient? Was sagt dieser Trend zudem darüber aus, wie unsere Arbeitswelt allgemein geschaffen ist…?

Es gibt außerdem endlos viele Gering- und Durchschnittsverdiener, die weit davon entfernt sind, über so etwas wie größere Rücklagen und frühzeitige Rente nachzudenken. Und ich finde es schon recht fragwürdig, dann zu sagen, diese könnten ja auch andere Berufe ausüben, in denen sie mehr verdienen. Ach ja? Wirklich?

Mal abgesehen davon, dass sich mir ohnehin immer mal wieder die Frage der Lohngerechtigkeit stellt: Ich bin schon froh, dass nicht alle arbeitenden Menschen ihre Berufe wechseln. Beispielsweise, wenn in meinem Badezimmer das WC verstopft ist, dann bin ich schon sehr beruhigt, wenn der (maximal) durchschnittlich verdienende Installateur vorbei kommt und nicht ein hochverdienender Was-auch-immer-Spezialist, der genau davon keine Ahnung hat. Mit einem schön gefüllten ETF-Fond hätte ich genügend Geld, um die Reparatur zu bezahlen, aber der ETF-Fond kommt nicht persönlich mit Werkzeug vorbei und repariert mir den Schaden. Eine Aktie macht dem hingefallenen Kindergartenkind kein Pflaster aufs Knie, tröstet es nicht, liest auch keine Geschichten vor. Die Aktie bestaunt nicht einmal den phantastischen, allerersten Bauklötze-Turm. All solche Dinge übernehmen genau die Menschen, die vielleicht nicht reich, aber dafür um so wertvoller sind. Es gibt viele, unzählige und ungenannte solcher wertvollen Alltagshelden und ich bin wirklich froh, dass es sie gibt.

 

Frau tröstet Kind
Photo: Jordan Whitt

23 thoughts on “Wertvoll statt reich

  1. Ich sehe den Frugalismus nicht so negativ, und man muss auch nicht viel verdienen um frugal zu leben und trotzdem Geld auf die Seite legen zu können. Es gibt auch Studenten, die mit wenig Einkommen frugal leben u d etwas sparen, das ist nicht einkommensabhängig sondern eher Einstellungssache.
    Und wenn man nicht viel braucht und ein Sicherheitspolster auf der Seite hat, vielleicht nur noch halbtags arbeitet, dann hat man genau für diese Dinge Zeit, die Du als wichtig empfindest: für Familie, Freunde, ehrenamtliches Engagement. Das ist doch nicht so negativ wie es in Deinem Bericht (für mich) klingt, oder?

    1. Wie geschrieben, kann ich nachvollziehen, wenn Menschen Rücklagen bilden. Das mache ich von meinem Halbtagsgehalt als Sozialpädagogin übrigens auch – obwohl man in dem Bereich bekanntlich nicht das meiste verdient. Ich habe kein Auto, selbst Carsharing wieder abgeschafft, ich saß noch nie in einem Flugzeug, habe kein Netflix, kein Spotify, keinen Fernseher, keine dieser Game-Stations, führe seit den 90er-Jahren ein Haushaltsbuch, meine Handykosten belaufen sich auf 5,40€ im Monat. Ich würde jedoch für Mehreinnahmen hier nie Werbung schalten oder Aktien kaufen, wenn diese Firmen Geld damit verdienen, in dem sie Mensch oder Umwelt schädigen. Rücklagen bilden, sparsam leben: Ja (macht ja auch ökologisch Sinn), aber nicht um jeden Preis. Da gibt es einfach Bereiche, die mir noch wichtiger sind.

  2. Guten Nachmittag,

    der Artikel von Fabi spricht mir sehr aus dem Herzen. Auch ich hatte überlegt, ein paar Kröten in Aktien anzulegen. Weil ich von nix ne Ahnung habe, bat ich um einen Termin bei meiner freundlichen Bank-Beraterin.

    Und dann kam das Nachdenken. Die Diskussion pro und kontra Aktien gibt es auch im blog von Christof Hermann. Ich ließ die Finger dabvon. Nicht nur, weil ich mich nicht auf die Bank verlassen müsste. Auch wg. moralischer Bedenken.

    Was nun nicht automatisch heißt, dass ich alle Menschen verurteilen kann, die Geld in Aktien anlegen. man kann mit Geld auch viel Gutes tun.

    Allerdings stört mich zunehmend der Slogan „sein Geld für sich arbeiten zu lassen“. Wenn das alle täten… Wie das aussähe haben die anderen ja schon beschrieben.

    So wird aus der Geschichte, die mit dem Aufräumen und Entrümpeln anfing (bei mir übrigens seit ich in 2006 „simplify your life“ gelesen habe…) zwangsläufig die Frage nach ser sozialen gerechtigkeit. In Deutschland. In Europa. In der Welt.

    Es kann mir nicht egal sein, wie mein Shirt produziert wurde. Und zur Klofrau: habe auf einem Wühltisch im Buchladen das Buch „Die Sehnsucht des Vorlesers“ gefunden. Passt super!

    Im Übrigen geht es mir seit Mittwoch nicht gut. ich lebe in Thüringen …
    Liebe Grüße aus Erfurt – Andrea

  3. Also da muss ich mal klar stellen bitte, dass Frugslismus und FIRE unterschiedliche Strömungen sind. Frugalisten haben mitnichten primär das Ziel früh in Rente zu gehen, FIRE-Anhänger definitiv. Da Frugalismus Geld spart sind die FIRE- Anhänger aber oft frugalistisch unterwegs. Sie schauen sich Dinge ab, um zu sparen. Es gibt aber auch frugal lebende Menschen , die einfach den Fertigkonsum satt haben und lieber selber kochen , backen, reparieren und gar nicht weniger arbeiten. Oft ist eine frugale Lebensweise das Ergebnis von zu geringem Einkommen.
    Man muss auch bedenken, dass in den USA das Investieren in den Kapitalmarkt die soziale Absicherung bedeutet , so wie in Deutschland die Staatsrente. Da die Steuerlast in den USA deutlich niedriger ist können auch Menschen mit nicht so hohen Einkommen partizipieren. Während in Deutschland eine feindliche und unwissende Sicht darauf besteht. Es fehlt schlichtweg an finanzieller Bildung, man verlässt sich voll auf den Staat und Versicherungen. Eigenvorsorge ist in Deutschland fast verpönt und Aktionäre werden sogar als Spekulanten beschimpft.

    1. Den Unterschied zwischen Fire-Bewegung und Frugalismus kannte ich so noch nicht. Danke für die Info. Wobei ich schon bei etlichen Frugalisten den Eindruck habe, dass diese vorrangig die finanzielle Unabhängigkeit suchen.
      Mich stören Aktien und Rücklagen bilden an sich überhaupt nicht – es kann ja jede/r entscheiden, in was er oder sie investiert oder eben nicht. Aber es ist nicht alles.

      1. Ja, das geht durcheinander, da gebe ich dir recht. Bei manchen vermute ich sie wollen Aufmerksamkeit und Klicks.

      2. Verwirrend, aber passt zum Eindruck, den ich von Frugalismus habe – zumindestens so, wie er sich im Internet oft präsentiert: Bei Wikipedia wird Frugalismus und Fire-Bewegung gleichgesetzt: „ In den Vereinigten Staaten wird der Trend mit der Abkürzung „fire“ bezeichnet: „financial independance, retire early“ (finanzielle Unabhängigkeit, früher Ruhestand).“
        Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Bescheidenheit

          1. Das ist wirklich interessant. Im englischen Wikipedia wird der Unterschied zwischen Frugalismus und Fire-Bewegung wirklich sehr viel deutlicher. Dort ist Frugalismus dann auch mit Sparsamkeit oder Genügsamkeit beschrieben. Keine Rede von Rente mit 40 Jahren dank phantastischem Einkommen, sowie Aktien und Co.

          2. Hallo Gabi, auf YouTube gibt es eine Hausfrau, die ständig von frugal spricht. Sie backt Brot selbst, sie sind in ein altes preiswertes Haus gezogen. Selber machen hat sich in den USA in Teilen erhalten scheint es ( und andere kaufen und schmeißen weg). Wo wir den Handwerker rufen, da machen die US-Amerikaner noch einiges selbst, allerdings sind die Häuser nur bessere Bretterbuden , da kann man wohl auch einiges selbst machen, bzw. muss es wohl auch. Land der Gegensätze. Ich versuche mir das Beste rauszupicken.

  4. Liebe Gabi,
    genau wie Du es beschreibst, so ist es mittlerweile in diesem Staate. Der Börsenhype und
    das schnelle Geldmachen haben die fundamentale Arbeit entwertet. Wer mit Anzug und Krawatte, ausgestattet mit der neuesten Technik unterwegs ist, der ist angesagt. Warum suchen Handwerksbetriebe denn händeringend Nachwuchs ? Der liebe Gott hat nicht nur Menschen geschaffen, die nach Abitur und Studium den Weg in die Upper Class einschlagen. Wann werden wir erkennen, daß jeder Mensch mit seinem Tun und seinen Talenten, ein wertvoller Teil unserer Gesellschaft ist. Jeder ist an seinem Platze wichtig !

    1. Manche füllen diesen Platz sogar beeindruckend aus. Es war vor vielen Jahren eine sog. „Klofrau“, die mich sehr beeindruckt hat. Eine Toilettenanlage, nur Kunstlicht – ein unwirtlicher Ort. Diese Frau hatte kleine Blümchen auf die Ablagen der Waschbecken gestellt und sang die gesamte Zeit ein Lied, während Sie die Anlage so gut wie möglich pflegte. Vermutlich hat sie von den paar Kröten, die sie da verdient hat, auch noch die Blumen selbst gekauft. Unglaublich, wieviel positive Lebensenergie von dieser Frau ausging und wie es ihr gelang, auch mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

    2. Mein Studium der Pädagogik und Erziehungs- und Bildungswissenschaften führt nicht unbedingt in die Upper Class. Es lebe das Vorurteil zum Thema Studium!

  5. Toll!!!!! Du sprichst genau das aus, was ich mir schon so oft gedacht habe. Und Lohngerechtigkeit ist sowieso noch einmal ein ganz eigenes Thema für sich, auch was die Geschlechter angeht.

  6. Liebe Gabi,

    ein super Beitrag, da bin ich ganz bei Dir! Leider wird auch gerade in den sozialen Berufen die Leistung meist nicht finanziell ausreichend gewürdigt. In einigen Bereichen kommen die Löhne einfach nicht mehr mit den steigenden Preisen, ich denke hier auch an die Mieten, mit.

    1. Liebe Gabi,der Artikel treibt mir die Tränen in die Augen.Du hast absolut recht. Ich denke an Pflegekräfte, Erzieher aber auch z.B.an Friseure. Und was ist wenn man Kinder hat und sich entscheidet von nur einem Verdienst zu leben? Sparen ist da nicht möglich, aber die Zeit mit meinen Kindern ist unbezahlbar

    2. Ich finde, die hohen Mieten sind dann noch ein Grund mehr, sich dann nicht noch zusätzlich mit unnötigem Klimbim zu belasten. Hätte ich mich nach den Vorstellungen der Möbelindustrie eingerichtet, müsste meine Wohnung mind. 20qm größer sein. Das kostet nicht nur Geld für die zusätzlichen Möbel, sondern dann auch noch mehr Miete.

      Es sind ja u.a. auch die Erzieher- und Pflegeberufe, wo dringend Personal gesucht und oft nicht gefunden wird – nicht nur wegen der Bezahlung, sondern weil diese Berufe in Zeiten knapper Kassen noch mehr an die eigenen Kräfte und die eigene Substanz gehen.

    3. Gut erkannt, die Gehälter sind seit 20 Jahren der wahren Inflation nicht mehr hinterher gekommen. Trump bezeichnete Deutschland als Billiglohnland, das muss man erst mal verstehen, bevor man es abtut , nur weil ER es gesagt hat. Die Mieten sind im internationalen Vergleich nicht zu hoch, wir haben zu niedrige Gehälter von denen zu hohe Steuern und Abgaben abgezogen werden. Wir sind das Land mit der dritthöchsten Steuer und schreien , dass die Mieten zu hoch sind, Wahnsinn, welche Realitätsverzerrung, auch befeuert durch die politisch durchfärbten Medien.

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