Minimalismus als Lebensstil – es gibt Aspekte, die mir besonders wichtig sind:
1. Luxus
Hiermit meine ich nicht teure Kunst und Design, nicht das viele Geld, was sich ggf. sparen lässt. Mit Luxus meine ich, es sich überhaupt leisten zu können, etwas zu reduzieren. Denn um Reduzieren zu können, muss ja erstmal was da sein, was sich reduzieren lässt. Diese Möglichkeit haben viele Menschen nicht.
2. Zeit
Für Dinge, die ich nicht brauche, muss ich nicht arbeiten. Ich brauche auch keine Zeit, um diese Dinge zu kaufen. Ich muss diese Dinge nicht in die Wohnung schleppen, nicht auf den Paketboten warten. Außerdem müssen diese Dinge nicht aufgeräumt, gepflegt und irgendwann entsorgt werden. Ich kann diese freie Zeit beispielsweise einfach genießen.
3. Selbst denken und handeln
Ich muss mir nicht von der Industrie, einer Trendwelle oder weiß ich von wem, vorbeten lassen, was gut für mich ist. Ich kann das gut selbst heraus finden.
4. Reduzierung von Reizüberflutung
Eine Chance liegt auch im bewussten Reduzieren in einem von zunehmender Reizüberflutung geprägtem Umfeld. Wie oft sind wir ständig in Betriebsamkeit, aber gleichzeitig irgendwie betäubt. Kleines Beispiel: Bei der Wartezeit an einer Bushaltestelle hängen wir nicht mehr den Gedanken nach, beobachten die Natur oder halten ein kleines „Pläuschen“ mit den ebenfalls Wartenden, sondern: Wir wenden uns davon ab, schalten also Reize aus und dröhnen uns gleichzeitig mit anderem zu, schalten also andere Reize an: Musik, die neuesten Informationen und Nachrichten, Spiele, Telefonate, Chats, aufblinkende Nachrichten der Social-Media-Apps und vieles mehr. Auch ich kenne dieses Verhalten von mir. In einer Zeit, als ich ohnehin völlig gestresst und überdreht war, hörte ich zusätzlich unterwegs noch Musik, viel Musik. Eigentlich wollte ich nichts sehen oder hören, hatte den Wunsch nach Ruhe und diesen Wunsch nach Ruhe stellte ich mit visueller oder akustischer Berieselung her. Manchmal auch noch mit dem zusätzlichen Rausch der Shoppingcenter, um mir nach getaner Arbeit noch was Gutes zu tun. Eigentlich brauchte ich aber nichts. Mit einem solchen Vorgehen kann ich mich maximal betäuben und ablenken. Zur Ruhe kommen, ist etwas ganz anderes.
5. Eine Konsequenz aus meiner Achtsamkeitspraxis
Achtsamkeit lebt davon, bewusst den jeweiligen Augenblick wahrzunehmen, z.B. von den ganzen vielen gedanklichen Wanderungen zur Wahrnehmung des Augenblicks zurück zu kommen. Nichts ist minimalistischer, als nur da zu sitzen, die eigene Abgelenktheit, die vielen, inneren Geschichten immer wieder aufs Neue loszulassen und zur Beobachtung des gerade stattfindenden Atemzuges zurück zu kehren.
Wer bewusster und regelmäßiger Achtsamkeit übt, bemerkt irgendwann: Es geht um dieses Loslassen, um inneres Loslassen. Die buddhistische Tradition ist die historische Wurzel der Achtsamkeitspraxis und die Nicht-Anhaftung ist dort ein wichtiger Begriff. Wie kann ich innerlich loszulassen und gleichzeitig inmitten von tausenderlei Dingen sitzen, die ich nicht wirklich benötige, aber an denen ich trotzdem krampfhaft oder gewohnheitsmäßig festhalte? Für mich passt Außen und Innen nicht wirklich zusammen, wenn ich mir nicht diese Frage nicht regelmäßig bewusst stelle.
6. Wertschätzung und Bezogenheit
Habe ich weniger, aber ausgewählte Dinge, die ich besitze, zeige ich Ihnen in der Regel sehr viel mehr Wertschätzung. In einem, zugegeben bewusst etwas übertriebenen und leicht schrägem Bild beschrieben, in etwa so: Hat ein Autoliebhaber nach langem hin und her, endlich seinen Ferrari, wird er dies phantastisch finden (die fragliche Sinnhaftigkeit sei an dieser Stelle mal dahin gestellt) . Aber hat der selbe Autoliebhaber irgendwann 20 oder 30 Ferraris und alle Leute in seiner Umgebung ebenfalls, wo ist dann noch das Besondere? Er wird seinen Ferrari deutlich weniger wertschätzen.
Ich beobachte seit Jahren Kinder, die in einem völlig überfüllten Kinderzimmer gelangweilt herum sitzen. Es gibt nicht EINEN Lieblings-Teddy, es gibt gleich 30 oder noch mehr Stofftiere und diese sind keine Lieblings-Teddys, sondern sie werden achtlos umher geworfen oder als Fußball benutzt (und dabei geht es nicht um die Freude am Fußballspiel!) Genau mit dieser Geste, zeigt ein Kind bereits, was es von dem ganzen Spielzeugkram hält: Es tritt das ganze Zeug mit Füßen! Ist mal die eine Playstation kaputt, gibts die nächste, also kann man auch auf dem Gerät einhämmern und der empfindlichen Elektronik so den Garaus machen. Fehlt der einen Barbypuppe ein Bein – was solle: sind ja noch 10 andere da. Und das ganze teure Barby-Zubehör liegt in allen Winkeln des Zimmers verstreut: der Schuh in der Legokiste, das Barbypferd unter dem Bett, der Kamm im Puzzle-Kasten, vieles davon längst kaputt und wertlos geworden. Achtlos, wertlos, ohne wirklich Bezug.
Und genauso erlebe ich diese Kinder: Orientierungslos in einem Berg von Zeug, ohne wirklichen Bezug zu den Dingen um sie herum. Stundenlanges versunkenes Spielen ist selten geworden. Das oben beschriebene mit-Füßen-treten ist nicht einmal bloße Aggressivität, es ist der Ausdruck von Beliebigkeit, Überdruss, Langeweile, Verzweiflung.
Kinder suchen aber in aller Regel nicht wirklich das x-te Spielzeug. Sie sind auf der Suche nach Aufmerksamkeit, Zeit und Zuwendung. Wie soll ein Kind Wertschätzung für ein Spielzeug empfinden, wenn es diese Wertschätzung nicht bzw. nicht ausreichend in direktem zwischenmenschlichen Kontakt des Erwachsenen zu ihm erfährt und es statt dessen mit noch mehr Kram zugeschüttet wird? Und mal ganz ehrlich: Ist das Schenken von Spielzeug wirklich immer ein Geschenk? Oder schwingt nicht doch manchmal die Hoffnung mit, das Kind ist dann beschäftigt und gibt (endlich) Ruhe?
7. Abbau der Kramberge – den Dingen ihren Wert zurück geben
Genau hier setzt mein Verständnis von Achtsamkeit und Minimalismus an: Den Dingen und dem Leben als solches die Wertigkeit zurück geben, anstatt sich in einem orientierungs- und weitestgehend beziehungslosen Kreislauf von Kaufen und Zerstören zu verfangen und Gefühlsillusionen hinter her zu laufen, („beim nächsten Kauf wird alles besser). Es geht nicht um möglichst viel oder möglichst wenig. Es geht darum, den Dingen wieder ihren Wert zurück zu geben. Maß statt Masse: Wirkliche Lebensqualität entdecken, Gemeinsamkeit, Bezogenheit, Konzentration, Ruhe und die Freude am gemeinsamen Tun und Erleben.
8. Nicht alles ist kaufbar
Freundschaft, Geborgenheit, Vertrautheit lassen sich nicht kaufen. Auch werde ich beim Einkaufen zwar Dinge, aber nicht mich selbst und meine Zufriedenheit finden.
9. Mehr Verteilungsgerechtigkeit
Zumindestens ist das mein Wunsch, finde ich das schön, gut, sinnvoll. Ich finde, es gibt zu viele Ungerechtigkeiten. Zuwenige haben zuviel, Zuviele haben zuwenig. Endlos viele Menschen leben in Armut, haben kein Dach über dem Kopf, arbeiten unter menschenunwürdigen Bedingungen und malochen für unseren Reichtum, haben aber selbst kaum etwas davon. Ob es Kleidung oder elektronische Produkte sind: Vieles von dem, was wir hier in Unmengen nutzen, konsumieren und binnen kürzester Zeit entsorgen, wird von diesen Menschen produziert.
Für die ungleiche Verteilung von Besitztümern müssen wir aber nicht weit schauen. Auch hier, mitten unter uns, gibt es Menschen, die mit einer Vollzeitstelle nicht einmal auf einen HartzIV-Satz kommen. Und das sind nicht unbedingt nur die sog. Ungelernten, sondern Menschen mit Ausbildung und Berufserfahrung. Gleichzeitig gibt es nicht nur irgendwelche Vorstände, Firmenchefs, die gut verdienen. Als ich im TV mal eine Sendung sah, die sich mit sog. Job-Benefits beschäftigte, fielen mir fast die Augen aus dem Kopf: Zusätzlich zum ohnehin üppigen Gehalt gibts Dienstwagen mit Privatnutzung, Jahreskarte der Bahn, wird der Kindergartenplatz finanziert, usw. usw. Bereits diese steuerfreien Zulagen waren höher als das, was ich als irgendwie halbwegs durchschnittliche Verdienerin als Bruttogehalt im ganzen Monat erhalte.
Eine bessere und gerechtere Verteilung, weniger Konsum-Fixierung würde unserer Umwelt, aber auch uns allen gut tun. Denen, die viel zu wenig haben und denen, die viel zu viel haben. Letztere würden sich ja möglicherweise wundern, was das Leben jenseits von Der Fixierung auf Konsum und Geldmaximierung noch so zu bieten hat.
10. Lebenswerte Alternativen finden
Minimalismus als Lebensstil sehe ich als einen erster Schritt, eine Anregung, das eigene Verhalten, die Beziehung zu den Besitztümern und zum Konsum-Hamsterrad kritisch zu hinterfragen und lebenswertere Alternativen zu finden. Denn längst ist bekannt, das viel Geld, viel Reichtum und viele Dinge nur bis zu einer bestimmten Grenze glücklich machen, danach ist es eine Illusion, der wir sinn- und atemlos hinterher laufen.
In diesem einen Post hast Du alles reingepackt, Gewinn fuer Erwachsene, Kinder, und Gesellschaft. In meine Muttersprache sagen wir: you hit the nail on the head! Danke! Viele meine Bekannte verstehen meine Minimalismus nicht, die sagen, du willst kein neues auto, grosses haus, keine globale urlaube machen? Warum nicht, whats wrong with you.? Bist du faul? Aber ich denke diese Sachen machen unser Leben traurig und wir verpassen viele schoene Momente die uns zu Menschen machen. Gestern war ich gezwungenerweise kurz bei Media Markt und hatte die wahl zwischen 30 toaster. Die mitarbeiterin hat mir gefragt: „kann ich Sie beraten? “ darauf habe ich geantwortet: „umm… ich will eine scheibe brot toasten. Ich denke, alle 30 modele schaffen das, oder? “ unsere gesellschaft ist krank, wenn wir ernsthaft denken, wir sollten eine endlose auswahl an alles haben und dann auch zeit fuer eine beratung dafuer nehmen. Absurditaet.
Der Sprichwort heißt im Deutschen auch so: Du triffst den Nagel auf den Kopf!
Toller, toller Text, liebe Gabi, du sprichst mir aus der Seele!
Hallo Gabi!
Einfach nur JA – so ist es! Du sprichst mir aus der Seele, danke für Deinen tollen Beitrag!
lg
Maria