Entscheidend ist der nächste Atemzug – Leben in Veränderung

Wie lebt es sich, wenn die äußeren Bedingungen schwierig sind? Kann Achtsamkeit helfen? Entlastet Minimalismus an der richtigen Stelle?

Derzeit habe ich die Möglichkeit, dies – unfreiwillig – ganz praktisch auszuprobieren. Daher weiß ich im Moment auch noch nicht so genau, wie die nächsten rund 5 – 6 Wochen auf diesem Blog so aussehen. Schreibe ich wie sonst meistens am Wochenende, schreibe ich viel oder wenig oder selten? Aktuell weiß ich es nicht so genau. Wer über neue Beiträge aktuell informiert werden möchte: Ich informiere über Twitter und Facebook, auch gibt es die Möglichkeit, sich über neue Blogbeiträge per Email informieren zu lassen (siehe Formular am Ende dieses Beitrages).

 

Mein aktuelles Wohn-Desaster:

Die aktuelle Wohnung kann kaum noch als solche bezeichnet werden. Mein kleines WG-Zimmer ist eigentlich der einzige Raum, wo es noch halbwegs erträglich ist. Noch immer werden wir durch tägliches und nächtliches Geschrei und Fäkaliengeruch der dementen Nachbarin massiv beeinträchtigt. Es zehrt – bei aller Toleranz – an den Nerven und der Gesundheit. Gespräche, Briefe, Einschalten zahlreicher Behörden, sowie wiederholte Kontakte zu Vermieterin, Einschalten von Polizei, Anwälten – irgendwie fühlt sich hier scheinbar niemand so wirklich für solche Fälle zuständig. Ich bin froh, wenn ich diese Wohnung, dieses Haus und den Vorort Dortmund-Lütgendortmund bald verlassen kann. Dann habe ich auch keine Eigenheimbesitzer mehr in der Nachbarschaft mit all den Rasenmähern und Rasenkantenschneidern, keine endlosen und lärmenden Volks- und Dorffeste, kein stundenlanges Hundegebell, keine Samstagfrüh-Laubsauger und keine Geruchsbelästigung der Eigenheimbesitzer-Kamine.

 

Von Dingen und Illusionen trennen

Mitte November ist es endlich soweit: Ich kann meine neue, kleine und wunderbare Wohnung beziehen. Trotz meines ohnehin minimalistischen Lebensstils: Es fand sich in den letzten Wochen doch noch dies, das und jenes, von dem ich mich getrennt habe. Nicht nur von Dingen, auch von Illusionen:
Beispielsweise von der Illusion, mit dem Fahrrad fahren wird es noch mal was. Nein, wird es nicht. Die schlaglochgespickten Straßen und Radwege sind nichts für meine Wirbelsäule. In der Innenstadt wird alles fußläufig erreichbar sein. Ich habe ein ÖPNV-Ticket und mich beim Carsharing angemeldet.
Dann gibts bzw. gab es noch mein E-Piano. Ich weiß, dass ich gute musikalische Antennen habe, die Fortschritte waren durchaus beeindruckend. Aber die Belastung der Schwerhörigkeit ist da. Die Hörgeräte sind ein Segen, aber das Hören strengt mich sehr viel mehr an als früher. Irgendwann war mir endgültig klar, dass mich aktiv zu musizieren mehr stresst, als entspannt. Ich genieße jetzt oft einfach die Stille oder auch, das ich das leise Rauschen der Blätter im Wind, dank der Hörgeräte, endlich wieder genießen kann.

 

Leben ist Veränderung – zum Glück

Im Buddhismus wird immer wieder auf die Vergänglichkeit hingewiesen und dass nichts bleibt, wie es ist. Irgendwer nannte es mal, dass die Veränderung die einzige Beständigkeit im Leben ist. Ich spüre dies auch – derzeit: zum Glück. Auch belastende Situationen ändern sich wieder. Und obwohl in der Achtsamkeitspraxis der gegenwärtige Moment so entscheidend wichtig ist: Ich finde es aktuell wunderbar, ein wenig in die Zukunft zu träumen – und da ist dann doch wieder der gegenwärtigen Moment: mir genau darüber bewusst zu sein. Ich spüre viel Vorfreude auf die bevorstehende wohnliche Veränderung. Es macht mir große Freude, mir genau zu überlegen, was, wieviel oder wie wenig Dinge ich dort haben und nutzen möchte. Minimalismus ist für mich Lebenselexier, es ist die Art, wie ich immer schon war: Ich hänge nicht an bestimmten Gegenständen, ich benutze sie lediglich und kann sie im Bedarfsfall auch gut wieder los lassen. Irgendein Lifestyle interessiert mich dabei überhaupt nicht. Was mich interessiert ist Freiheit und Lebensqualität – dafür brauche ich zum Glück keine vollgestopfte Wohnung, es ist aber auch nicht nötig, irgendeinen minimalistischen Olymp zu erklimmen.

 

Entscheidend ist der nächste Atemzug

Sehr wohltuend ist es, wenn es mir gelingt, in all den aktuellen Belastungen, einfach den nächsten Atemzug bewusst wahrzunehmen und zu genießen. Achtsamkeit erdet mich. Manchmal ist der Atem dann so etwas wie eine wohltuende Salbe, insbesondere auch dann, wenn ich einmal sehr angespannt oder erschöpft bin. Es tut außerdem gut, nicht nur Dinge, sondern auch Illusionen loszulassen, manchmal auch einen Atemzug lang all den Ärger und den Stress. Es hilft mir, Abstand zu gewinnen, mich immer wieder auf den nächsten Schritt zu konzentrieren und auch die schönen Momente wahrzunehmen. Jack Kornfield hat es einmal so wunderbar treffend, so richtig und so wohltuend formuliert, dass ich ihn hier nochmal abschließend zitieren möchte:

„The path through trouble is always made a step at a time, a breath at a time, a day at a time“. (Jack Kornfield)

 

 

 

13 thoughts on “Entscheidend ist der nächste Atemzug – Leben in Veränderung

  1. Danke für den Artikel! Ich hatte meine Musikerkarriere auch beendet nach der Diagnonse Schwerhörigkeit. Und weil mich das Musizieren nicht mehr in „Flow“ versetzte sondern – wie von dir beschrieben – anstrengte. Ich habe jahrelang nichts mehr mit Musik zu tun haben wollen. Nur um mir jetzt auf einmal eine Ukulele für die kommende Weltreise zu kaufen. Und damit wirklich Spaß zu haben. Allerdings nimmt diese auch nicht viel Platz weg. Ins Zen Kloster in Kalifornien kann ich sie dieses Jahr auch mitnehmen.

    Wie ist die Geschichte mit dem E-Piano weitergegangen? 🙂

    1. Hallo Chris, das E-Piano wird jetzt von einem musikalisch gleichermaßen interessierten, wie begabten Kind genutzt. Das freut mich natürlich, dass das E-Piano auf diese Weise eine sinnvolle Weiterverwendung hat. Mit Ukulele ins ZEN-Kloster, das hat was… Viel Spaß bei der Weltreise!! Gabi

  2. Liebe Gabi,
    ich wünsch dir alles Gute für deinen bevorstehenden Umzug! Wir werden nächstes Jahr umzuziehen und haben für uns das perfekte Zuhause gefunden. Innenstadtnah (wobei es uns nicht um die Innenstadt und die Shoppingmöglichkeiten geht, sondern um die zentrale Lage – Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen) und gleichzeitig ein alter, gewachsener Stadtteil und Natur in der schnellen Erreichbarkeit, mit Bus, Bahn oder Fahrrad. Ich freu mich schon sehr. Zumal unsere jetzige Wohnung eine tolle Lage hat und ein gepflegtes Grundstück mit altem Baumbestand, welchen ich ein wenig vermissen werde.
    Die Kamine und die Luft mag ich auch überhaupt nicht. Bisher dachte ich allerdings, dass ich eher ein seltenes Exemplar bin, was das so wahrnimmt. Ich merke das v.a. über die Atemwege. Hier hat es auch wenig mit Eigenheimen zu tun. In den alten Häusern gibt es einfach auch noch Schornsteine und Co. und Zugänge von früher für Öfen…

    Dir alles, alles Gute, einen leichten Umzug und einen guten Start in der neuen Wohnung.
    Nanne

    P.S.
    Ich vermute, dass du sehr versiert bist – mit Behörden einschalten und so (als Sozialpädagogin) – es ist schon erschreckend, dass sich keine zuständig fühlt. Das sind für deine Mitbewohner und dich ja schlimme Zustände und gleichzeitig für die demente Frau selbst schließlich auch. Schlimm.

    1. Hallo Nanne, es hat ja alles so seine Vor- und Nachteile, aber ich kann das gut nachvollziehen, dass ihr Richtung City zieht. Nicht überall dort ist es laut und voll – hier ist es z.B. eher in den Außenbezirken unangenehm – mal abgesehen von der Natur, die hier außerhalb auch viel näher dran ist. Da, wo ich hinziehe, ist es zentral und ruhig. Bäume und Grün ist dort vorrangig in den großen Innenhöfen. Ich drücke euch die Daumen auch für euren Umzug.

  3. Hallo Gabi!

    Ich habe auch den Eindruck, dass es mir nun, seitdem ich regelmäßig meine Achtsamkeitspraxis mache und meditiere, leichter fällt anstrengende Situationen zu überstehen und trotzdem noch Freude im Leben zu finden.

    Viel Kraft für die kommenden Tage wünscht Dir
    Maria

      1. Hallo Gabi!

        Das klingt spannend, so habe ich das noch nie betrachtet. Aber es ist ein schönes Bild, werde ich mir merken!

        lg
        Maria

  4. Hallo,

    Persönlich bin ich der Meinung, dass wir uns bewusst sein sollten in einer Gemeinschaft, wenn auch häufig anonymen, zu leben. Da gehört ein gewisser Grad an Toleranz dazu, den viele jedoch wg. einer ich-bezogenen Sichtweise nicht bereit sind zu geben.

    Stört in der Vorstadt oder dem Dorf der Kamingeruch und der Rasenmäher, sind es in der Stadt die Restaurant bzw. Barbesuch und der Müll auf den Straßen.

    Persönlich finde ich es wichtig, seine Zufriedenheit nicht maßgeblich vom Umfeld abhängig zu machen – Menschen ändert man nicht.

    Dein Fall mit der Nachbarin ist überaus traurig, spiegelt aber das in unserer Gesellschaft gängige Wegsehen durchaus wieder. Schön, dass ihr versucht habt zu helfen.

    Ich bin gerade auch umgezogen von einer Extremlage (Partykiez) in ein ruhiges Viertel. Ich glaube fünf Jahre Anblick von menschlichen Abgründen haben mich abgehärtet, aber auch abgestumpft. Lärm in sämtlichen Dimensionen kann mir nichts mehr anhaben, die Wohnlage hat mich darin geschult im ärgsten Trubel Ruhe zu finden.

    Viele Grüße,
    Rabea

    1. Hallo Rabea,
      Stimmt. Es ist die Frage, womit jede/r persönlich am besten klar kommt und wie ausgeprägt der Lärm ist. Dauerbeschallung geht wirklich an die Substanz. Aber klar: Mitten in der Stadt am Waldrand, zentral, aber ruhig gelegen – am besten mit Bootssteg und U-Bahn-Anschluss geht nun mal auch nicht. Ich habe über 2 Jahrzehnte in zentraler Citylage gewohnt, kenne das daher. Dort war es im Vergleich zum Vorort trotzdem ruhiger – was ich wirklich nicht erwartet hatte, aber so ist. Allerdings war das damals auch keine Partylage. Und da, wo ich hinziehen werde, ist es nochmal deutlich ruhiger, als die Innenstadtlage, die ich früher hatte – ruhiger als hier im Vorort sowieso. In der Innenstadt habe ich dann allerdings nicht mehr den Wald in 5 Minuten Entfernung.

  5. Vielen Dank wieder für einen schönen Artikel. Ich werde auch bald umziehen von der Einzelheim in die Innenstadt wieder und finde diese Entscheidung passt wunderbar zum minmalistischen Gedankengut. Obwohl ich außerhalb der Stadt die Nähe zur Natur jeden Tag geniesse ist das Vorort-Lebenstil manchmal etwas zu „Gegendstandorientiert:“ Schließlich muss man den Eigengarten auch mit Gartenmöbeln füllen, Trends beachten, je nach Saision mit außendeko schmucken. In der Innenstadt macht keiner dies, jeder darf so wohnen wir er möchte. Ich freu mich auch von vieles los zu werden und stattdessen gemeinsame Aktivitäten mit meinem kleinen Sohn in der Stadt zu geniessen. Vor einigen Jahren als ich etwas jünger war ich noch in Europa mit einem einzelen Koffer unterwegs. Das war eine schöne Zeit, wo man überhaupt nicht auf seine „Gegenstände“ aufpassen oder diese rumschleppen müsste. Sobald ich in die Rente gehe (also erst in 20+ Jahre!) hoffe ich auch wieder fast alles los zu werden und diese Freiheit wieder geniessen.

    1. Hallo Jess, es passt zu meinen Erfahrungen, dass die Menschen in der Innenstadt tatsächlich insgesamt lockerer sind – zumindestens erlebe ich das hier so. In den Vororten wird halt eher ein gewisser Standard erwartet. Erfüllt man den nicht, ist man schnell entweder negativer Gesprächsstoff, Außenseiter oder sonst was.

  6. Zwischen zwei Wohnungen bzw. im Umzug zu leben, ist wirklich eine mentale Herausforderung.
    Für mich war es auch jedes Mal schwierig, mich zu entspannen, mich in der neuen Wohnung einzuleben und mit der alten abzuschließen.
    Minimalismus hilft auf jeden Fall, da man sich so auch wohlfühlen kann, ohne seinen ganzen Krempel zu benötigen.
    Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft und Entspannung für den letzten Monat!

    1. Hallo Marie, herzlichen Dank, werde die Zeit dann auch noch herum bekommen. Ich erlebe es auch als sehr entlastend, weniger gegenstandsfixiert zu sein. Gerade in der Umzugsphase ist das wirklich ein großer Vorteil.

Comments are closed.