Ich entdecke immer mehr, das ist meine Form der Bewegung: Gehen. Wer schon mal ein Kind gesehen hat, wie es die ersten freien Schritte laufen kann, wird sich vielleicht an die Freude erinnern, welche im Gesicht des Kindes sichtbar wurde. Sicherheit gewinnen, das Gleichgewicht halten, und die Welt schrittweise aus einer neuen Perspektive selbständig entdecken: eine schöne und wichtige Erfahrung.
Gehen ist für mich insbesondere der Inbegriff von Achtsamkeit und Minimalismus in Bewegung. Gehen ist zudem eine sehr ursprüngliche Form, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Weder brauche ich dazu ein Auto, noch Benzin, keine Fahrkarte, kein Fahrrad, keine stylische Ausrüstung. Gerade mal Schuhe sind nötig, aber die brauche ich ja üblicherweise sowieso und im Bedarfsfall würde es eigentlich oft sogar barfuß gehen – was aber nicht so mein Ding ist. Gehen ist für mich eine geradezu wunderbare Möglichkeit, bewusst das eigene Tempo zu reduzieren in einer Gesellschaft, die so oft von Schnelligkeit und Geschwindigkeit geprägt ist.
Achtsames Gehen: Stress abbauen, einen klaren Kopf bekommen
Achtsames Gehen hilft mir immer wieder, vor und nach stressigen Situationen schrittweise „runter zu kommen.“ Erst letzte Woche hatte ich ein solch eindrückliches Erlebnis:
Ich steckte in einer beruflichen Situation, in der ich mich über einige Fachleute sehr geärgert hatte. Ich war innerlich aufgewühlt, weil ich bemerkte, da läuft etwas falsch, es werden falsche Wege eingeschlagen. Gleichzeitig bemerkte ich aber auch, dass mein Aufgewühltsein eine annähernd vernünftige Lösung verhindern würde. In einer so innerlich angespannten und aufgewühlten Stimmung, in ein Gespräch zu gehen, sich irgendwie zusammen zu reißen und nach sinnvollen Lösungen zu suchen: Es wäre ein elendiger Krampf geworden, ein ewiges Diskutieren und anschließend wäre der gleiche Ärger vermutlich immer noch da gewesen. Nur diesmal nicht nur bei mir, sondern auch bei meinem Gegenüber. Wie soll es da zu einer vernünftigen Lösung kommen?
Also bin ich morgens auf dem Weg zur Arbeit bewusst einige Straßenbahnhaltestellen eher ausgestiegen und den restlichen Weg zu Fuß gegangen – ganz bewusst: Schritt für Schritt, einatmen, ausatmen, den Boden unter meinen Füßen spüren und all die ablenkenden Gedanken, wirren Gefühle immer wieder freundlich, aber konsequent auf das Abrollen der Füße zurück führen. Ganz langsam merkte ich, wie ich tatsächlich schrittweise innerlich ruhiger wurde, mein Atem tiefer, regelmäßiger. Das Gehen sorgte dafür, dass ich körperliche Anspannungen besser loslassen konnte. Ich fing an das schöne Wetter wahrzunehmen, die klare Luft und immer wieder meine Füße, Schritt für Schritt für Schritt für Schritt. Über die Lösung meines beruflichen Problems habe ich auf diesem Weg bewusst nicht nachgedacht. Trotzdem: Im Büro angekommen, war mein Kopf viel klarer, innerhalb einiger weniger Minuten hatte ich mir einige Notizen gemacht und so die Voraussetzung für eine sinnvolle Lösung geschaffen. Insbesondere aber war ich wieder entspannter und habe ich mich endlich wieder wohlgefühlt.
Gehen: Für mich ist es mehr, als nur von A nach B zu kommen. Es ist eine Form von Bewegung, die mich nicht überfordert und die ich auch als eher unsportlicher Mensch noch gut bewältigen kann. Gehen ist für mich eine Möglichkeit, körperliche und emotionale Anspannungen abzubauen. Entscheidend dabei ist gar nicht mal vorrangig das zu erreichende Ziel. Gehen ist für mich immer auch eine Möglichkeit, schrittweise die eigene Mitte wieder zu finden. Aus dieser inneren Mitte heraus kann ich entspannter und mit klarerem Kopf handeln.
Gehen ist neben Radfahren mein liebstes Fortbewegungsmittel und ich fühle mich einfach unwohl, wenn ich mich zu wenig bewege und zu wenig gehe. Gehen funktioniert auch im Gegensatz zu Joggen mit höherem Gewicht. Und abends liege ich mit einem guten Gefühl im Bett, wenn ich tagsüber genug gegangen bin.