Landauf, landab scheint der Begriff Minimalismus populär geworden zu sein. Aber was ist Minimalismus? Und was ist Minimalismus nicht? Ich möchte an dieser Stelle nicht mit irgendwelchen Definitionen langweilen und erspare sie mir daher. Stattdessen einige Gedanken dazu, was ich unter Minimalismus verstehe.
Was ist Minimalismus nicht?
Krempel-Sammelei
Wir leben in einer Zeit und einer Gesellschaft, in der es zur Gewohnheit geworden ist, Unmengen von Krempeleien anzusammeln und ständig auf der Jagd nach neuen Dingen zu sein. Irgendwann ist kein Platz mehr und so räumen wir halt mal auf und entrümpeln das ein oder andere, um endlich wieder Platz zu haben.
Entrümpeln
Immer mal wieder stoße ich dann im Internet auf diverse Videos, in denen Menschen sich beim Aufräumen und Entrümpeln filmen und dies begeistert als Minimalismus bezeichnen. Manche Filmer/-innen finden es spannend und aufregend, so als sei das Aufräumen und Entrümpeln eine ganz neue Erfahrung. – Hmm…
Manchmal sind solche und ähnliche Formen des Minimalismus einfach nur das, was Daniel Siewert gerne einen „Konsum-Schluckauf“ nennt: Platz schaffen, um danach wieder neue Dinge kaufen zu können.
Für mich ist das Aufräumen und Entrümpeln von Dingen erst einmal nur, was es ist: Aufräumen und Entrümpeln.
Wettbewerb um die wenigsten Dinge
Minimalismus ist keine Zahl, kein Wettbewerb, kein Heldentum. Im Rahmen meines Umzuges habe ich mir beim Einräumen der Schränke und des Regals dann sogar mal die Arbeit und den Spaß gemacht und gezählt. Ich bin – Lebensmittel, Wasch- und Putzmittel ausgenommen – auf rund 500 Dinge gekommen. Allerdings fehlte mir dann doch ein wenig der Ehrgeiz und so hatte ich dann keine Lust, jede Nähnadel und jede Nähgarnrolle einzeln zu zählen. Also habe ich einfach „1 Nähkasten“ gezählt. Ähnlich ging es mir bei der Werkzeugkiste. Jede Schraube, jeden Schraubenzieher zählen – nein, zu aufwändig, daher habe ich „1 Werkzeugkiste“ gezählt. Gleiches bei den Büroklammern. Aha, es sind also vielleicht gar nicht 500 Teile, die ich besitze, sondern 700 oder 1000? Und was sagt so eine Zahl – außer, dass ich bei einer Hausratversicherung im Bedarfsfall genauere Angaben machen könnte? Hätte ich geschickt gezählt, also nicht jeden Teller und jede Tasse einzeln, sondern sondern „1 Gedeck“, dann wären es noch weit weniger als 500 Teile geworden. Doch wozu sollte ich geschickt zählen? Irgendeine Zahl, die im Zusammenhang mit Minimalismus durch den Raum geistert, sagt letztlich nicht sonderlich viel aus – auch nicht bei mir.
Ein kleines Beispiel, wie relativ solche Minimalismus-Zahlen sind: Wieviel Besteck ist unten auf dem Bild? Entweder 7 Besteck-Sets oder 35 einzelne Teile? Macht einen Unterschied von 28. Und wenn ich solche Zahlenspiele dann auch bei den Tellern und Tassen vornehme, würde der Zahlenunterschied noch größer.
Und was ist Minimalismus?
Minimalismus ist für mich, mit wenigen Dingen zufriedener zu leben. So wenig wie möglich, so viel wie nötig – immer mit dem Blick auf das Wesentliche. Wie wenig nun wenig und wieviel nun viel ist, ist ganz unterschiedlich. Lebensstile und Lebenssituationen unterscheiden sich nunmal z.T. sehr deutlich voneinander. Wer Kinder Zuhause hat, benötigt viel mehr Dinge, als der Student oder die Studentin im Studentenwohnheim. Es ist wie mit den Äpfeln und den Birnen – so mal eben vergleichen funktioniert da nicht.
Was haben die Dinge mit mir und meiner Art zu leben zu tun?
Interessant wird es dann, wenn man länger an diesem Thema dran bleibt:
- Was haben die Dinge, mit denen ich mich umgebe, eigentlich mit mir zutun?
- Warum kaufe ich dies, das oder jenes?
- Warum hänge ich an irgendeinem Teil, obwohl ich es nicht verwende?
- Was will ich mit der riesigen Bücherwand, wenn ich die meisten Bücher ohnehin nicht mehr lese?
- Welche Interessen, Hobbys und Leidenschaften lebe ich wirklich und wo habe ich die dazu gehörigen Dingen nur ungenutzt in den Schränken liegen?
- Macht das Verhältnis von zwei Jeans, 5 Computern und 3 Smartphones in meinem Leben Sinn? Was sagt es über die persönliche Lebenshaltung aus, wenn ich zwar irgendeine eine schicke Smartwatch besitze, aber keine Tasse für einen Besucher?
- Welchen Wert haben Dinge und welchen Wert haben Menschen in meinem Leben?
- Dienen die Dinge meinem Leben oder hindern sie mich daran?
Jede/r kann solche und ähnliche Fragen nur für sich selbst beantworten und die Beantwortung kann bereits ein sehr spannender Prozess sein. Für mich ist Minimalismus letztlich immer auch eine Form, achtsamer mit mir und wertschätzender mit den Dingen und meiner Umwelt umzugehen.
Hallo, ich bin seid meiner Kindheit mit Minimalismus aufgewachsen, nicht etwa, dass meine Eltern kein Geld hatten oder irgendwelche anderen Probleme, aber was man besaß, dass hatte auch seine Verwendung und wurde gebraucht, mehr gab es einfach nicht, Nein, mehr wollte man nicht, mehr Dinge, die nutzlos waren wurden einfach nicht gekauft. Meine Kindheit war damit glücklich, denn ich habe auch nichts vermisst.
Genauso war es mit den Lebensmitteln, nichts wurde im Überfluss gekauft, nicht etwa, dass wir Hungern mussten oder auf etwas verzichten mussten, aber es wurde einfach bewusst gekauft und nichts landete als „ungenießbar“ im Mülleimer.
Kleidung wurde getragen bis diese durchgewetzt waren oder so mir zu klein wurden, dass ich sie nicht mehr anziehen konnte. Aber das ganze zog damals (in den 70zigern) einen negativen Touch mit sich, denn Mitschüler waren schon damals geprägt, wer was hat der zählt nur und nicht was oder wie man ist. Deshalb wurde ich bei meinen Mitschülern nicht akzeptiert und wurde zum Einzelgänger. Ich hatte wenig Freunde, gerade mal 3 Freundinnen, aber das reichte mir. Am Anfang war ich ziemlich traurig und fragte mich warum ich ausgegrenzt werde. Es kann doch nicht nur an den Sachen liegen, aber irgendwann mit 13 Jahren war mir dies so egal und ich musste über diese albernen Mitschüler sogar lachen, wenn sie über ihre neuen Sachen aus dem Westen sprachen ( ich komme aus dem Osten), oder was sie für eine neue Uhr hatten. Ich glaube, dass daraus mein selbstbewusster Charakter noch stärker hervorgegangen ist. Ich bin kein sogenannter Mitläufer geworden, vertrete meine Ansichten und meine Meinungen, auch wenn ich damit oft anecke.
Oh, sehr beeindruckend. Mir hat als Teenager in den 70ger-Jahren (als Westler) eine Markenjeans gereicht. Damit fühlte ich mich „in“ – da hatte ich es echt leicht. Denn den ganzen Konsumstress gab es in der heutigen Form nicht.
Moin Gaby,
guter Beitrag und das Wort Konsumschluckauf mag ich 🙂
Die Zählerei ist glaub ich eine Wissenschaft für sich und da jeder es anders zählt hat sie für mich auch keine Relevanz was ist nu Minimalist mit wenig und was Minimalist mit viel.
Das der Begriff Minimalismus durch Werbung und Firmen und Trendyoutuber die normales ausmisten als Minimalismus vermarkten so völlig am eigentlichen Sinn vorbei geht bzw. untergeht finde ich schade. Aber ändern kann man das wohl nicht. Ich lass sie dann einfach in dem Glauben, denn ganz Minimalist ist mir meine Zeit zu schade um mit denen zu diskutieren 🙂
@Thorsten: ich habe auch noch einen Dosenmilchpieker schön alt mit Holzgriff, das Ding kann man ja durchaus auch für anderes benutzen, quasi ein Universalwerkzeug *schmunzel…
Lg
Aurelia
Lg Aurelia
Hach wunderbar formuliert ?.
Wunderbarerweise erledigt sich ja vieles an trendorientierten Blogs und Youtube-Kanälen ohnehin recht flott wieder.
So einen Dosenpiekser kenne ich, habe ich aber nicht, aber dafür einen Teppichdackel. Haha, kennt auch nicht jede/r. ?
Das Ding kenn ich auch noch 🙂
sehr praktisch und viel langlebiger als diese Elektrischen Handsauger die es heute gibt für zwischendurch saugen.
Sehr schön. 🙂
Super,ich finde Du hast es genau auf den Punkt gebracht.
Minimalismus ist für mich auch Selbsterkenntnis.Ich habe immer wieder Make up gekauft nur um dann festzustellen,ich nutze es nicht.Ich habe es verschenkt und werde kein Neues kaufen.Ebenso Deko.Ich bin keine Deko Queen und ich werde es auch nie.Also alles was mir nicht wirklich am Herzen liegt kommt weg.Ich habe festgestellt dass mich volle Räume nicht zur Ruhe kommen lassen.So bin ich,aber dass ist nicht das Mass für alle und das ist auch gut so.
Dein Beispiel bringt es wirklich gut auf den Punkt. Wobei diese Form der Selbsterkenntnis letztlich viel mit Selbstbestimmung zutun hat. Das finde ich eine wunderbare Konsequenz eines minimalistischen Lebensstils. Es gibt wirklich phantastische Dekoqueens mit sehr geschmackvollen Einrichtungen und es gibt Leute, die für sowas keine Antenne haben und mit Deko nichts anfangen können. Entscheidend ist doch nur, ob es ins eigene Leben und zum eigenen Typ passt.
Hallo Gabi,
wieder ein guter Beitrag von dir zum Thema Minimalismus. Ich gebe dir hiermit einen Daumen hoch ?.
Vielen Dank! ?
Ich meine zu beobachten, dass der Minimalismus kommerzialisiert wird. Gerade sind es Tiny Houses, morgen vielleicht wieder Superfoodbereiter oder bald beim Schweden Multimöbel ? Es bleibt der Verdacht, dass die Industrie den Trend längst erkannt hat und neue Produkte feilbietet, um den durch Konsumschluckauf erzeugten Freiplatz sogleich wieder mit Krempel zu füllen. Der angehende Minimalist ist verunsichert durch die verschiedenen Kriterien, gehypte Youtubes, die neuen Produkte. Muss ich ohne Bett auf einer Hängematte mit weißer Hose schlafen oder darf ich mir als Minimalist überhaupt ein Akkuschrauber kaufen ? Muss ich eine Kleiderstange haben, auf der alles einstaubt oder darf ich einen halbleeren Kleiderschrank behalten? Alles Plastik raus ? Meine Antwort ist, dass man sich durch externe Reize anregen, aber nicht zu sehr beeinflussen lassen sollte. Leichter geschrieben als durchgeführt. Ein geringerer Medienkonsum und Reflexion evtl. in der Natur und mit zeitlichem Abstand kann hilfreich sein. Und Gespräche mit anderen wenn möglich. Es fehlt ein Forum, mir jedenfalls.
Hallo Thorsten, da hast du wirklich sehr recht mit den, was du sagst. Anregen lassen ja, aber dann schauen, was am besten ins eigene Leben passt und was eben auch nicht.
Austausch finde ich auch sehr wichtig. Ideal sind da die Minimalismus-Stammtische. Unter http://www.minimalismus-stammtisch.de schauen, ob es bereits einen Stammtisch in der Nähe gibt oder selbst einen gründen. Sich persönlich austauschen zu können, ist einfach nochmal sehr schön. Auf der Stammtisch-Seite stehen auch Infos zu einem virtuellen Stammtisch.
Ich vergaß auch : Daumen hoch ! Ich habe ein Arsenal von Schrauben, die ich als 1 „Kleinteilesammlung“ zählen würde. Elektrogeräte wie Bohrer mit allen Bohreinsätzen würde ich auch als 1 zählen. Alles Besteck würde ich als 1 zählen egal wie viele Sets oder auch keine Sets, bei uns passt zahlenmäßig nicht alles zusammen. Einen Flaschenöffner , Dosenöffner, Milchdosenpieker (haha, voll Retro, hat das noch jemand) jeweils 1. Auch alle scharfen Messer zusammen als 1. Wichtig erscheint mir, dass Dinge, die zusammengehören auch an einem Platz sind. Z.b alles Werkzeug, Farben, damit kämpfe ich gerade im alten Haus meiner Schwiegereltern. Das ist wegen Platzmangel und nach 40 Jahren überall verteilt.
Spannend und eigentlich interessant an der Minimalismus-Zählerei ist doch, auf wie unterschiedliche Zahlen man kommt, je nachdem, wie man zählt. Ich bin eigentlich nur auf diese Idee gekommen, weil ich 1. öfter danach gefragt werde und weil ich mir 2. schon gedacht habe, dass diese Zahlen, die im Zusammenhang durchs Internet schwirren doch sehr relativ sind. Ich könnte zwischen unter 300 bis 1000 Teile (alle Schrauben und Nähnadeln mitgezählt) alles mögliche angeben. Und das ist doch höchst interessant und irgendwie auch lustig. Es zeigt nämlich, das diese Zahlen irgendwie nicht sonderlich viel aussagen.