Minimalismus – 10 Fragen an: Julia

Minimalismus – 10 Fragen an… ist eine kleine Reihe, in der (in unregelmäßigen Abständen) Leser/-innen meines Blogs zu Wort kommen, um die Vielfältigkeit des minimalischen Lebensstil deutlich werden zu lassen.

Heute: Julia

 

1. Wie ist deine jetzige Wohn- bzw. Lebenssituation?

Wir leben in einem kleinen Dorf im Schwabenland in einem Reihenhaus. Als wir dieses Haus kauften, 2008, war an den Minimalismus noch nicht zu denken. Mit zwei kleinen Kindern waren wir in der Lifestyle-Inflation und dem Konsum gefangen. Vor etwa 5-6 Jahren fingen wir an auszusortieren. Seitdem hat sich unser Hausstand mehr als halbiert. Das hat zur Folge, dass wir so viel Platz haben, den wir eigentlich gar nicht benötigen. Dennoch bleiben wir – vor allem auf Grund der Kinder, aber auch wegen dem begrenzt verfügbaren Wohnraum in unserem Ort – hier wohnen. Wir wissen jedoch schon jetzt, dass wir das Haus nicht behalten. Wenn die Kinder ausgezogen sind und ihr eigenes Leben leben, wird es für uns eine Veränderung geben.

 

2. Warum hast du mit dem Minimalisieren angefangen?

Drei von vier Familienmitgliedern sind hochsensibel. Mich hat die Menge an Zeug, die wir hatten, total überfordert. Ständig mussten wir aufräumen, wegräumen, wir hatten kein Platz (trotz Haus) und das sauber machen war sehr umständlich und hat ewig gedauert.
Dazu kam, dass ich mir nach einer überstandenen Depression Fragen gestellt habe. Was macht mich glücklich und zufrieden? Was will ich aus meinem Leben machen? Was brauche ich wirklich? Wieso habe ich all diesen Kram? Wer bin ich?
Diese Fragen führten dazu, dass mir immer deutlicher wurde das der Konsum und Dinge an sich nicht glücklich machen.

 

3. Was denken andere Menschen (Familie, Freunde, Nachbarn…) über dein Loslassen von Dingen?

Zum Geburtstag habe ich ein Bild bekommen von Vögeln auf einer Leine. Ein Vogel hängt kopfüber. Darüber steht „sei anders“. Genau das beschreibt es ziemlich gut.
Wir leben in einem dörflichen Umfeld, in dem oft der Status über allem steht. Das neue große Auto, das tolle durchgestylte Haus. Wir leben unser Leben, möchten aber nicht missionieren, wir lassen andere Menschen so sein, wie sie sind. Wir lassen sie so leben, wie sie es für richtig halten. Dadurch kommen wir gut mit anderen Menschen klar. Witzigerweise übernehmen manchen einige Dinge, ohne dass wir etwas gesagt haben, weil sie merken wie gut es ihnen tut.
Manchmal müssen wir deutlich werden, wenn wir Dinge „geschenkt“ bekommen, die wir nicht benötigen. Meine Eltern schickten uns immer wieder Sachen, zwei Wetterstationen, einen Sahnebereiter, Maskenetuis… Hier mussten wir deutlich sagen, dass wir diese Dinge nicht möchten. Es dauert, aber es funktioniert. Sie kommen eben auch aus einer anderen Generation und leben ein ganz anderes Leben.

 

4. Am leichtesten ist mir gefallen…

Am Anfang ist es mir nicht leicht gefallen überhaupt Dinge gehen zu lassen. Auszusortieren ist das eine, sich mit dem ganzen Dahinter zu beschäftigen ist das andere. Am leichtesten fiel mir noch der Kleiderschrank.

 

5. Am schwersten finde ich …

Die Fotos auszusortieren und sich mit den ganzen Gedanken drumherum zu beschäftigen. Wenn Du anfängst Dinge gehen zu lassen, lösen sich auch Glaubenssätze und Sichtweisen auf. Ich hatte viel Bastelzeug, eine Nähmaschine, Malsachen etc. Ich war immer die Kreative. Diese Dinge gehen zu lassen war wie ein Eingeständnis an mich: „so bin ich nicht mehr“. Dann wiederrum kam die Frage in mir auf: „Wer bin ich dann?“ Und dann bröckelt das Bild, welches man nach Außen abgeben möchte. Das macht verletzlich, führt aber im Endeffekt zu der Person, die man wirklich ist. Heute weiß ich, dass dieser Weg mich zu ganz viel Selbstlebe, Zufriedenheit und Selbstbewusstsein geführt hat.

 

6. Auf keinen Fall würde ich noch mal…

so viele Dinge anhäufen. Es war rückblickend nicht einfach diese ganzen Dinge loszuwerden. Der Weg an sich war schwer und er dauert immer noch an.

 

7. In jedem Fall würde ich noch mal…

anfangen auszusortieren, gern auch schon viel früher in meinem Leben.

 

8. Welches praktische Vorgehen hat sich bei dir bewährt?

Ich habe ganz klassisch angefangen mit meinem Kleiderschrank. Dann kamen die Bücher. Dazu muss man wissen, ich liebe Bücher. Ich dachte immer, ich benötige viele Bücher um zu zeigen wie viel ich lesen. Wie schon geschrieben, das Bild welches man nach Außen abgeben möchte. Gut ist auch, sich zwischendurch immer wieder Zeit zu nehmen um alles zu verdauen. Obwohl wir vor 5-6 Jahren angefangen haben, kam es 2020 – bedingt auch durch Corona – noch einmal zu einer großen Aussortieraktion. Auch meine persönliche Entwicklung hat dadurch einen enormen Schub bekommen.

 

9. Welche Vorteile hat es für dich, weniger Dinge zu besitzen?

Ich habe mehr Zeit für die wichtigen Dinge wie meine Familie, meine Freunde und mich. Wir stehen finanziell besser da als je zuvor, da wir nicht mehr konsumieren. Ich bin viel zufriedener geworden, nehme mich so an wie ich bin, begegne mir und anderen Menschen viel liebevoller und empathischer.

 

10. Gibt es noch etwas, was du mitteilen möchtest?

Der Minimalismus ist eine Reise. Es geht vorwärts, man bleibt stehen und es geht auch mal wieder zurück. Und es ist meiner Meinung nach auch viel mehr als das Weggeben von Dingen. Als ich vor ein paar Jahren meinen Bog einfachfreileben.de gründete, tat ich dies, weil ich mir ein einfaches und freies Leben wünschte und meinen Weg dokumentieren wollte. Wenn ich auf meine Reise zurück schaue fühle ich, wieviel Freiheit uns der Minimalismus in jeder Hinsicht gebracht hat. Wieviel freier wir Stück für Stück geworden sind. Nicht nur von Dingen, auch von Sichtweisen und Beschränkungen und wieviel Zufriedenheit in unser Leben eingezogen ist.

 

Wir sind gern in unserem Camper unterwegs. Das wir im Alltag sehr minimalistisch Leben kommt uns auf unseren Reisen – wir sind zur viert mit Hund – sehr entgegen.

 

Yoga hat mir auf dem Weg des Minimalismus geholfen, klarer zu sehen, was möchte ich. Als ich vor über 13 Jahren damit anfing ging es nur um etwas Entspannung. Mittlerweile bin ich Yoga-Lehrerin.

 


Zum Weiterlesen:

9 thoughts on “Minimalismus – 10 Fragen an: Julia

  1. Julia schreibt: „Wir leben unser Leben, möchten aber nicht missionieren, wir lassen andere Menschen so sein, wie sie sind.“ Eigentlich mache ich es genauso. In meiner Wohnung ist es frei und offen und wenn andere sich ihren Wohnraum mit vielen Dingen zustellen, ist es ihre Angelegenheit. Ich muss ja nicht darin wohnen.
    Allerdings habe ich mit etwas anderem ein Problem. Eine Mieterin in dem Mietshaus, in dem ich wohne, sammelt Sachen aus der Mülltonne. Ihr Keller ist vollgestapelt mit Kram, was die Brandgefahr erhöht und Ungeziefer anlockt. Nachdem ich jetzt mitgekriegt habe, dass sie auch kaputte Sachen (ein Saftkrug ohne Henkel) aus dem Müll holt, werde ich alle defekten Dinge, die ich wegwerfe richtig zerstören, damit das Zeug selbst von ihr nicht wieder aus dem Müll geholt wird.

    1. Oh, das klingt ja nach Messie-Nachbarin… Da macht es echt Sinn, die zu entsorgenden Dinge wirklich möglichst kurz und klein zu „raspeln.“

  2. Also, mir kommen gerade die Gedanken. Meine Arbeit nervt mich. Doch es gibt mir auch was. Ich bin letztes Jahr krank geworden und ich wollte nicht mehr zur Arbeit zurück. Eben weil es auch Dinge gibt die ich nicht mag. Der Alltag frißt soviel Zeit und Energie!

    Die letzten Tage ist mir bewußt geworden, daß vieles Gefühle wecken. Vor allem Schuldgefühle oder es sind Relikte aus der Vergangenheit. Ich hab schon einiges losgelassen. Das fühlt sich gut an.

    Es geht nicht drum, möglichst wenig zu haben, sondern viel die man mag und braucht. Man kann jemanden sagen, ich mag dich und einen Blumenstrauß schenken oder einfach in den Arm nehmen und Zeit haben. Wir entscheiden!

    1. Und es ist ein spannender Weg, schrittweise zu schauen, welchen Bedarf man wirklich hat, anstatt nur ein Bild nach Außen zu bedienen (oft einfach nur, weil man es so gewohnt ist bzw. war).

  3. Guten Abend

    und Applaus, Appllaus. „Lifestyle-Inflation“ – mit einem Wort alles gesagt. Und zu viert mit Hund im VW – sportlich! Liebe Grüße aus Thüringen!

    1. Diese Lifestyle-Inflation lässt sich natürlich grundsätzlich überall wieder finden. Wenn ich mal hier oder da Werbung mitbekomme, haut es mich manchmal förmlich „aus den Socken,“ so penetrant wie das z.T. ist. Aber nicht nur beim Konsum, sondern das kann auch beim durch Social Media gepuschten minimalistischen Lebensstil passieren.

    2. Hallo Andrea,

      der Wunsch zu reisen ist größer. Wir waren 2019 für 2 Wochen in Schottland und kamen durchaus an unsere Grenzen, wenn es draussen regnete. Glücklicherweise lesen wir alle gern;)
      Liebe Grüße
      Julia

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