Da ging es erst so schön voran mit dem Entrümpeln. Die Kram-Ecken wurden freier, in Regalen und Schränken schon viel mehr Platz – und dann hängt man plötzlich fest. Irgendwie geht nichts weiter, keine Zeit, keine Lust, müde, manchmal Gründe, manchmal auch Vorwände. Es gäbe doch immer noch so viel, was endlich auch mal entrümpelt werden müsste. Enttäuschung, Frust – mal über sich selbst, mal über die Umstände und manchmal weiß man auch nicht so richtig, warum man nun gerade den Entrümpelungs-Blues hat.
Was tun, wenn der Entrümpelungs-Blues kommt…
Bleib dran
Wenn mal irgend etwas nicht so läuft, wenn es hakt und der Entrümpelungs-Blues besonders laut ertönt, so bedeutet das nicht, alles hinzuwerfen und seine Pläne und Vorhaben wieder aufzugeben. Versuche dran zu bleiben und sei es nur ganz wenig. Jeden Tag nur ein einziges Teil zu entrümpeln geht auch – und macht immerhin im Jahr auch 365 Dinge. Selbst wenn es nur jede Woche nur ein Teil ist, macht das im Jahr auch 52 Gegenstände.
Mut zu kleinen Schritten
Wir neigen oft dazu, uns zuviel vorzunehmen, gehen mit großer Energie an ein Projekt dran, aber irgendwann wird alles mühsamer. Versuche daher, dir deine Energien einzuteilen und zeige den Mut, zu kleinen Schritten. Mit vielen kleinen Schritten können auch große Wege bewältigt werden.
Immer nur ein Bereich gleichzeitig
Wenn, dann richtig – am besten an einer bestimmten Ecke dran bleiben. Nach und nach beispielsweise nur die Küchenschubladen, nur die Schreibtischschubladen, nur das Bücherregal oder nur den Kleiderschrank. Das verschafft sichtbare Erfolgserlebnisse und motiviert für neue Entrümpelungstaten.
Das Auf und Ab der Emotionen
Unsere Besitztümer sind in aller Regel mit Emotionen und Erinnerungen verbunden. Das ist ganz normal und nicht ungewöhnlich. Daher kann es natürlich immer mal wieder sein, dass das Entrümpeln auch mit unterschiedlich starken Emotionen verbunden ist. Manchmal fühlen wir uns sehr erleichtert, weil endlich mehr Platz geschaffen ist oder ein Gegenstand, der mit negativen Erinnerungen verbunden ist, endlich entsorgt ist. Manchmal erinnert uns ein Gegenstand vielleicht an einen lieben und verstorbenen Menschen oder wir erinnern uns an persönlich schwierige Lebensphasen, an belastende Ereignisse oder wir fragen uns zweifelnd, warum wir damals so und nicht anders gehandelt haben.
Mach dir bewusst, dass wir als Menschen nun mal denkende UND fühlende Wesen sind. Wir sind halt nicht nur kühle Computergehirne. Zum Glück, aber manchmal macht es das auch schwierig. Versuche innerlich einen Schritt zurück zu treten und auf das zu schauen, was gerade an Emotionen wach geworden ist:
Raus aus dem Entrümpelungs-Blues:
- Negative Erinnerungen, die mit einem Gegenstand verbunden sind: Entsorge diesen Gegenstand zeitnah, halte dich nicht lange daran auf, sondern lasse los.
- Der Gegenstand war ein Geschenk: Mach dir bewusst, dass der wichtigste Inhalt des Schenkens nicht das Ding selbst ist, sondern die Freude, die man jemand machen will. Durch das Geschenk ist der Gegenstand in deinen persönlichen Besitz übergegangen und du alleine entscheidest somit auch, was damit passiert und wann dieser Gegenstand wieder gehen muss. Tante Erna wird akzeptieren müssen, wenn der schicke Trockenstrauß nicht noch weitere 5 Jahre in der Wohnung bleibt. Über dein Leben entscheidest du, nicht die Schenker/-innen und auch nicht Tante Erna.
- Schöne Erinnerungen und Erinnerungen an liebe Menschen: Manchmal sind Gegenstände mit sehr positiven Gefühlen verbunden, trotzdem passen diese Dinge eigentlich nicht mehr ins eigene Leben. Schau hin, ob es andere Möglichkeiten gibt, sich lieber Menschen oder besondere Erinnerungen bewusst zu bleiben. Manchmal hilft ein Foto von dem Gegenstand, das Foto dieses einen lieben Menschen oder ein besonders gestalteter Erinnerungstag im Jahr. Vielleicht hilft ein Abschiedsfest von diesem einen besonderen Gegenstand. Oft erleichtert es auch, wenn man jemand mit dem zu entrümpelnden Gegenstand eine besondere Freude machen kann.
- Selbstzweifel und Erinnerungen: Möglicherweise schlägt irgendwann der Entrümpelungs-Blues voll zu. Vielleicht erinnert ein Gegenstand an bestimmte, belastende Lebensphasen, Zeiten voller Stress, vielleicht war man auf dem falschen Weg – und nun sind diese unangenehmen Erinnerungen mit dem Gegenstand verbunden. Versuche dir dann bewusst zu machen, dass nicht der Gegenstand das Problem ist, sondern deine Erinnerungen und Zweifel. Aber vielleicht hilft dir das Loslassen eines solchen Gegenstandes auch, die eigenen Erinnerungen und Zweifel loszulassen.
Lebensphasen – jedes Ende ist immer auch ein Anfang
Vielleicht geht es auch darum, sich nochmal einige Lebensphase etwas bewusster anzuschauen, um diese dann besser verabschieden zu können. Vorbei ist vorbei. Schief gehen kann auch immer mal was. Das Leben ist nicht perfekt und wir sind es auch nicht. Lebe jetzt! Sei nicht der härteste Richter über dich selbst. Lass nicht nur die alten Dinge, sondern auch die damit verbundenen Geschichten los. Konzentriere dich auf das Jetzt. Freue dich, dass du nun auch mit diesem oder jenem zu entrümpelnden Gegenstand, dein Leben wieder ein Stück neu ausrichten kannst. Jedes Ende ist immer auch ein Anfang und in jedem Anfang liegt eine Chance. Ergreife sie.
Lass dir Zeit
„Rom ist nicht an einem Tag erbaut“ sagt der Volksmund und auch im digitalen Zeitalter mit all der Hektik und all dem Stress, gilt dieser Satz noch immer. Manchmal geht es einfach auch darum, sich die nötige Zeit zu lassen. Entrümpeln geschieht oft in Wellen und nicht jede Welle nimmt gleich all das zu entrümpelnde Zeug mit. Im Alltag kann immer mal was dazwischen kommen. Überstunden, Krankheit, akute Probleme und Dinge, die plötzlich geregelt werden müssen. Vielleicht hat man einfach auch mal zwischenzeitlich keine Lust. Was nicht an einem Tag funktioniert, dauert dann halt eine Woche oder sogar einen Monat. Was solls, dann dauert es eben und auch ein Entrümpelungs-Blues ist irgendwann wieder vorüber.
Foto: Scott BroomeWenn du ein Problem hast, versuche es zu lösen. Kannst du es nicht lösen, dann mach kein Problem daraus. (
Oh, ein schöner Artikel, Entrümpeln ist echte Arbeit. Es löst Gedanken in uns aus und die Frage kommt auf, was kommt , wenn man die Vergangenheit sortiert und ausgedünnt hat. Mental bewegt sich so viel, oder wird man emotional bewegt, weil einen die Dinge beim Sortieren aus dem Gleichgewicht bringen ? Nach 1,5 Jahren mittelmäßigem Minimalismus habe ich so viel Vergangenes entsorgt (oder ggfls. digital behalten), dass mehr Gegenwart als Vergangenheit im Haus ist. Man muss nichts nachhängen und man kann Zeit und Vergangenheit nicht festhalten. Man sollte sie eher abschließen und sich neue positive Erlebenisse und Erinnerungen schaffen.
Der heftigste Abschied war der von meinem Musikinstrument. Gestern im Sprachkurs sollte jeder sagen, welches Musikinstrument er spielt. Ich habe die Vergangenheitsform gewählt und hatte Angst sie würden nachfragen, ob ich es denn jetzt nicht mehr spiele, warum und so. Zum Glück passierte nichts. Man kann mit Minimalismus ja nicht überall ankommen, alle im Sprachkurs spielen irgendein Instrument, ich derzeit nicht und ich plane es auch nicht. Und da ist er der Blues. Hätte ich es behalten sollen ? Ich bin kurz in mich gegangen. Nein ich hatte Jahre gebraucht diese Entscheidung zu treffen und es war richtig.
Mir gehen gerade merkwürdige Gedanken durch den Kopf, ob ich in einer fast leeren Wohnung sitzen würde, wenn ich zu sehr mit meinen Gedanken in der Zukunft leben würde, weil ich so viel verabschieden würde, was gerade in der Gegenwart nicht benötigt wird. Man könnte ja nichts anschaffen, weil man es übermorgen schon wieder rausschaffen müsste. Solche Hardliner gibt es wohl auch, sie haben kaum etwas , leben vielleicht sogar als Nomaden mit 100 Gegenständen. Diese Minimalisten leben vermutlich nicht mal zu 100% in der Gegenwart, wenn sie quasi ständig auf gepackter Tasche sitzen und wohl immer wieder mal Aufwand für das Umschiffen von nicht vorhandenen Gegenständen betreiben müssen und dann andere Leute um Hilfe bitten ?! Haben sie Nadel und Faden ? Pflaster ? Paketband oder Tesafilm ? Mir fallen viele Sachen ein, die man unregelmäßig benötigt, aber sicher nicht ständig mit rumschleppt. Nein, so heftig muss das nicht sein.
Man kann mehr haben als die Hardliner, aber es bleibt wohl eine Pflichtaufgabe : das zyklische Kontrollieren der Dinge in der Wohnung, was keine Miete zahlt muss sich eine andere Wohnung suchen. Der Mensch verändert sich, die Welt auch. Es ziehen über die Jahre Dinge in die Wohnung, die man vorgestern noch nicht kannte : Router, Smartphone, PC,… dafür sind andere gegangen: Bilderrahmen, Aktenvernichter, Gesellschaftsspiele, Nippes, CDs, Bücher,….
Es verbleiben auch Dinge, die unentschieden sind , z.b das Buch „das erste Jahr im Job“. Ich habe es für meine Kinder aufgehoben, aber eigentlich bin ich mir recht sicher, dass es zu dem Zeitpunkt wohl eher lächerlich wirkt, was da drin steht oder es wird nicht benötigt, weil man alles im Internet nachlesen kann oder man braucht es gar nicht, weil man auch so zurechtkommt. Ich glaube ich blättere es noch mal durch und dann darf es gehen. Schwierig. So ein Buch wäre ja auch jederzeit wieder nachzukaufen oder in der Bücherhalle ausleihbar, mit einem nicht 20 Jahre alten Verständnis der Arbeitswelt .
Da sind die Ziele, die ich jetzt für mich formuliert habe, um aus einem Blues rauszukommen, wenn er sich einschleichen sollte :
– ich möchte soviele Dinge besitzen, dass ich auf Anhieb sagen kann, wo etwas ist.
– ich möchte Kiste für Kiste, Möbel für Möbel, Raum für Raum alles noch einmal durchgegangen sein, um sicher zu sein, das ich vom Verständnis meiner Gegenwart keine ‚Untermieter‘ habe. Die sollen bitte gehen.
Wer heutzutage als (digitaler) Nomade unterwegs ist, besitzt zwar viele Dinge nicht selbst, nutzt aber Dinge der anderen Menschen. Nur die wenigsten „100-Teile-Minimalisten“ (soviel gibts davon ja eh nicht) schlafen im eigenen Zelt und haben auch ein Kochset dabei. Also sind sie auf das Equipment andere Menschen angewiesen – indem Sie Wohnungen hüten und diese in der Zeit nutzen können oder eine der sonstigen bezahlten Übernachtungsvarianten. D.h., sie besitzen zwar nicht Betten, Badezimmerinterieur und sonstiges Inventar, aber sie benutzen es. Das finde ich ok, wäre aber nicht meins. Und es zeigt mir, dass die reine Anzahl von Dingen relativ ist und letztlich wenig aussagt. Wir sind nunmal physische Wesen, können uns nicht selbst digitalisieren, Hunger und Durst lassen sich nicht auf Festplatte auslagern, auch kann man sich nachts nicht mit Bits und Bytes zudecken und vor Kälte schützen. Wer einen eigenen Hausstand hat, plant und rechnet anders. Auf Anhieb zu wissen, wo was ist und regelmäßig immer wieder auf mögliche unpassende ‚Untermieter‘ zu achten, finde ich dann eine sehr gute Lösung.
Lieber Thorsten,
vielen Dank für diesen tollen Beitrag – besonders der Satz „habe ich so viel Vergangenes entsorgt (oder ggfls. digital behalten), dass mehr Gegenwart als Vergangenheit im Haus ist. “ hat mich sehr berührt 🙂
Ich hatte in all den Jahren seit Beginn meiner Minimalismus-Reise (das dürfte vor ca. 6 Jahren gewesen sein), nie „Blues“ bzgl. Aussortieren verspürt.
Ich habe aber gemerkt, dass ichinsbesondere Dinge, die ich von meiner Mutter/Stiefvater bekommen habe, nur sehr sehr schwer weggeben konnte. Anfangs habe ich gedacht, dass liegt v.a. daran, dass das immer sehr teure/hochwertige Dinge waren. Irgendwann habe ich festgestellt, dass es v.a. ein schlechtes Gewissen war, was mich daran gehindert hat, diese Dinge wegzugeben – das Gefühl, meine Eltern dann „zu verraten“. Seltsamerweise habe ich aber gerade bei Geschenken meiner Eltern sehr sehr häufig ein Unwohlsein verspürt. Irgendwann vor nicht allzu langer Zeit habe ich gemerkt, dass es damit zu tun hat, dass ich die Werte meiner Eltern (Geld, Leistung, Prestige, Einfluss) nicht teile und ich diese Dinge deswegen (bis auf ganz ganz wenige Ausnahmen) nicht in meinem „Energiefeld“ haben möchte. Dann war es immer noch komisch, loszulassen, aber es ging und ich fühle mich wirklich erleichtert. Das zeigt mir, dass es der richtige Schritt war. Mittlerweile möchte ich genau aus diesem Grund von meinen Eltern keine Gegenstände mehr geschenkt bekommen, sondern möchte eher, dass die Familie zu meinem Geburtstag gemeinsam Essen geht. DAs verbindet viel viel mehr und alle – nicht nur ich – freuen sich 🙂
@Thorsten, @Steffi – in euren beiden Beispielen zeigt sich wirklich beeindruckend, dass es um viel mehr als nur um das Reduzieren von Dingen geht.