Ich freue mich über einen Gastbeitrag von
Tanja Heller Tanja ist Profi-Texterin, Minimalistin, Minimalismus-Bloggerin und Autorin
ICH bin doch nicht rassistisch
Komme in die Arztpraxis. An der Theke steht ein Japaner. Ich denke: “Auf den Champs–Elysées putzen sie das McDonald‘s. Hier die Arztpraxen? Irgendwie traurig.“ Ich frage ihn, ob mein Termin heute stattfindet. Er sagt: „Ja“. Ich warte. “Wann kommt jetzt endlich der Arzt?“, frage ich mich. Erst auf dem Untersuchungsstuhl wird mir klar, der war die ganze Zeit schon da. Meinen eigenen Rassismus zu erkennen war bitter.
Weiter Beiträge von Tanja:
Ich sehe das ähnlich wie Thorsten – ich meine das ist nicht Rassismus, sondern hat etwas mit einer „Erwartungshaltung“ und ganz viel mit der Sozialisation zu tun.
Ich habe mich schon mehrmals in ähnlichen Situationen ertappt, was Geschlechtervorurteile betrifft.
Zum Beispiel: Ich gehe in einen Baumarkt, da steht am Infopoint eine Frau und ein Mann und ich hoffe, dass der Mann zum Fragen frei wird, da der sicher mehr Ahnung hat, bevor ich denke: „Was zum Geier, war DAS denn für ein bescheuerter Gedanke?!?“
Kann ich mir nur mit Sozialisation erklären, ist ja nicht so, als würde ich nicht genügend Frauen in Handwerksberufen kennen. Bescheuert, aber wohl Altlasten, die man irgendwie im Unterbewusstsein mitschleppt.
So lange einem diese Gedanken bewusst sind, und kein „-ismus“ daraus wird, sind die meines Erachtens menschlich. Die ersticken zu wollen geht für mich in Richtung Biedermeier (der von den Brandstiftern).“
Viele Grüße,
Daniela
Vielleicht ist es eine Herangehensweise eine „Beobachtungsmeditation“ durchzuführen. Stehenbleiben, gut durchatmen und die Situation aus Distanz beobachten. Einige Fälle lösen sich vielleicht dabei auf. Bei anderen Situationen hat man mangels Informationen oder Erfahrung keine Chance ohne nachfragen.
Mir fällt gerade ein , dass sich meine Schwester immer wieder in der Situation wiederfindet , dass sie im Supermarkt für eine Angestellte gehalten wird und dann direkt um irgend etwas gebeten wird, z.b. Fragen beantworten oder Ware von oben runterreichen. Ich vermute sie macht den Fehler zu lange an einer Stelle zu stehen und die Preise zu studieren. 😉
Es wäre zu anstrengend, wenn wir auf jeder Demo denken würden, der Mensch mit Schlabberpulli könnte auch ein Zivilpolizist sein. Hätte dem auf ihn einprügelnden Passanten aber gut getan.
Ich finde es gar nicht so einfach, zwischen echtem Rassismus (im Sinne von Rassen-Idiologie) und schlichter „Gewohnheit“ zu unterscheiden. Insofern weiß ich gar nicht, ob das geschilderte Phänomen wirklich etwas mit echtem Rassismus zu tun hat.
Wir alle haben sowohl Sehgewohnheiten als auch soziale Gewohnheiten. Wir erwarten daher bestimmte Sachen ohne dabei aber eine böse Absicht zu hegen. Ich finde, dass man das dringend unterscheiden muss. Spannend wird es aber, wenn ich den chinesischen/arabischen/what ever Doc für weniger kompetent halte – hier kommen wir der Sache mit dem Rassismus dann schon näher.
Ich unterscheide auch nochmal zwischen „Fremdeln“ und echtem Rassismus. Es ist rein biologisch ziemlich natürlich und auch (evolutionär) sinnvoll, dem „Fremdartigen“ oder „anders aussehenden/denkenden/sprechenden what ever“ Menschen erstmal mit Skepsis zu begegnen. Die Frage ist, ob ich das erkenne, reflektiere und dann darüber hinweghandeln kann oder ob es mich so sehr antreibt, dass ich in meinem Verhalten ablehnend/rassistisch werde.
Alles in allem: Spannend! Danke für die Anekdote. 🙂
Danke für deine Gedanken.
Danke für die Bestätigung
Ja, das ist gut nachvollziehbar, was du schreibst.
Gegen die eigene Angst und eigene Vorurteile „Fremden“ gegenüber hilft auch reisen. Andere Kulturen selbst und vor Ort erleben ist ein sehr guter Weg zur Verständigung und zum gegenseitigen Kennenlernen. „Wir sind auch Ausländer – fast überall.“ (Der Satz stammt nicht von mir. Ich habe ihn mal irgendwo gelesen. Er gefällt mir.)
Danke an Tanja für diesen Beitrag. Er hat mich zum Denken angeregt. Besondere beschäftigt mich immer wieder die Frage: Wo ist die Grenze zwischen Vorurteil und Rassismus?
Danke Gabi, dass du Tanja den Platz eingeräumt hast.
Schön geschrieben, Sibylle. Das mit dem Reisen ist so wahr.
Zusätzlich zum Reisen: Einfach mal Menschen kennenlernen. Das Ruhrgebiet hier ist beispielsweise schon auch eine Art Schmelztiegel von Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Regionen und Kulturen hier her gefunden haben. Die in manchen Gegenden so typische Unterscheidung zwischen Menschen, die dort auch geboren sind und die die zugezogen sind, gibt es nicht. Wer hier wohnt gehört dazu – fertig. Das ist ganz einfach auch super spannend und interessant. Ich möchte es nicht vermissen.
Das ist sicherlich im Ruhrgebiet und auch in großen Städten, wie Mannheim so, wo wirklich viele Nationen aufeinander treffen. Problematisch wird es dort, wo der Anteil der Zugezogenen nicht so hoch ist und die „Fremden“ eben Fremde bleiben (müssen).
Hier im Dorf gilt nur der als einheimisch, dessen Familie mindstens drei Generationen lang hier wohnt. Alles ander ist bestenfalls „neigscheckt“ = zugezogen.
Man kann nur hoffen, dass die alten Sturköpfe durch nach und nach eine flexiblere junge Generation abgelöst wird.
Danke Tanja, für deinen Text – ich denke, jede*r von uns hat genau so etwas schon einmal gedacht. Und sich womöglich (hoffentlich) über sich selbst erschrocken.
Danke dir Gabi, dass du Tanja den Raum für dieses Thema hier gibst.
Ehrlich wundere ich mich sehr, aber irgendiwe auch nicht, über die Relativierungen dazu hier in den Kommentaren.
Sehr empfehlenswert dazu zwei Bücher:
Alice Hasters – Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen
Tupoka Ogette – Exit Rassism, rassismuskritisch denken lernen.
Die „Relativierung“ ist ja kein Widerspruch.
Der Fall mit dem Arzt an sich wäre klar rassistisch, wenn dann jemand die Behandlung ablehnen oder gar ausfällig würde. Etwas aus guter Absicht etwas nicht zu erkennen ist kein Verbrechen, wenn die Situation dann doch freundlich gemeistert wird.
Früher hätte diese Situation auch mit einer Ärztin passieren können, weil sie mir einer Sprechstundenhilfe verwechselt wurde.
War das dann sexistisch ? Ganz sicher nicht.
Wir ordnen Situationen und Menschen nach unseren Erfahrungen ein. Dabei gehen wir erstmal von den äußeren Eindrücken aus, weil sie am schnellsten zur Verfügung stehen. Häufig werden äußere Erkennungsmerkmale sogar bewusst für eine schnelle Einordnung verwendet. Man denke an Uniformen oder Arbeitskleidung wie den Blaumann. Du hast deinen ersten Eindruck revidiert. Ein Rassist wird an seiner vorgefassten Meinung zu einer Volksgruppe festhalten. Wenn daraus ein wertendes Urteil und eine Einteilung in besser und schlechter und die Ableitung besonderer Vorrechte für die eigene Person abgeleitet werden, wird aus dem Vorurteil Rassismus. Die Situation kann eher als Beispiel für ein Vorurteil gesehen werden
Das hast du schön erklärt, Violetta. Es ist diese schnelle Degradierung. die mich an mir stört. Das Erlebnis erinnert mich an dieses Ereignis: Ein Mann sitzt am Tisch und bestellt Getränke auf einer Veranstaltung bei einer Schwarzen. Diese ist gerade auf dem Weg zur Bühne zu ihrem Vortrag über Rassismus. Sicher geben da auch Medien eine Steilvorlage. Wie oft ist der einzig Schwarze im Film der Taxifahrer? Achtet mal drauf.
Der Rassismus wird von den Medien kultiviert, weil es aufregt und weil es eben oft zutrifft.
Soll ich mich als Mann aufregen, weil ich am Marktstand oder im Cafe am Kuchentresen gelegentlich ignoriert werde, weil die Verkäufer als Zielbild eine Frau als Kundin erwarten ( womoglich werde ich als Begleitung einer mir fremden Kundin neben mir identifiziert) und ich mich mit Gesten und mit Stimme rechtzeitig bemerkbar machen muss um nicht übersprungen zu werden ?
Solche Situationen mit Fehleinschätzung kennt jeder. Sie betrifft alles mögliche : Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Kleidung, Sprache, Körpergröße….
Ich denke ja gerne immer auch über die ganz pragmatischen Dinge nach. Genau die Arbeitskleidung könnte ja auch ein Aspekt sein. Üblicherweise laufen Ärzte in ihren typischen weißen Kitteln herum. Arzt mit Arztkittel: Ist es in dem Fall dann nicht relativ egal wie der Arzt ansonsten aussieht, welche Nationalität er eventuell ist? Er wäre sofort zu identifizieren und die Frage ist, ob du dann in dem Fall die gleichen Gedanken gehabt hättest?
Wir neigen dazu, Menschen nach irgendwelchen äußeren Merkmalen ein zu ordnen. Und ja klar, damit kann man dann evt. schon mal kräftig daneben liegen.
Ich war ganz allein in der Praxis. Coronazeit. Keine weiteren Angestellten oder Patienten. Und der Arzt saß an der Theke und räumte da auf.
Was dann für eine Arztpraxis auch eine eher ungewöhnliche Situation ist. Ein Arzt, der vorne an der Anmeldung aufräumt, ist schon eher selten. Vielleicht ja auch eine Situation, wo man mal gut in seiner Einschätzung daneben liegen kann.
Das ist kein Rassismus, sondern eine mangelnde Erfahrung. Je mehr Kontakte mit ungewohnten Menschen oder Situationen stattfinden, desto schneller kann das Gehirn mögliche Alternativen erkennen. Die Daten aus erweitert sich und der Mensch lernt dazu.
Ich würde daher mir keinen Rassismus einreden oder einreden lassen.
Das stimmt. Wir sehen zu wenig Menschen unterschiedlicher Kulturen als Richter*, Polizisten*, Lehrer* etc. . Da wird dann das SEK geschickt, weil ein schwarzer Lehrer seine Unterrichtsvorbereitungen abends in der Schule macht, in der er arbeitet Unglaublich. Wie bei Philip Oprong. Kann ja nur ein Einbrecher sein. 🙂
Na ja, der Mensch in Uniform wird ja genauso eingeordnet: entweder absolutes Vertrauen Gegenüber Staatsgewalt bis hin zur Ablehnung mit tierischem Schimpfwort.
Wir sind bei der Einordnung gefangen und befangen.Vor tausenden von Jahren war das eben einfacher, aber wenn dann ein fremder Stamm aufkreuzte haben sie sich bekämpft. Fremd macht Angst, unbekannt macht Angst. ( Miteinander ) sprechen lockert, fragen hilft,
Es ist schwer, denn alles ändert sich so rasant.